Review: Google+

Rückblende: im Juni 2011 startet Google den Versuch, Facebook endlich die Stirn zu bieten. Nach Googles Fehlschlägen mit den Twitter-Klonen Jaiku und Buzz, der Collaboration-Plattform Google Wave und dem „nur“ in Brasilien und Indien verbreiteten Social Network Orkut war die Erwartungshaltung gewaltig.  Google+ sollte es nun also richten.

Gegenwart: ein Jahr nach dem Start vermeldete Google, immerhin bereits 250 Millionen Nutzer auf seine neue Plattform gezogen zu haben. Darüber hinaus kündigte der Konzern an, dass man zukünftig das Soziale Netzwerk stärker mit den Ergebnissen der Google Suchmaschine verbinden wolle. Langsam wurde es Zeit, sich der Sache ernsthaft anzunehmen.

Erster Eindruck

Die Registrierung bei Google+ (G+) ist schnell erledigt. In meinem Fall ging es sogar noch schneller, da ich bereits bei Youtube und Google Analytics Benutzerkonten hatte, die Google+ im Prinzip schon kannte. Ich musste mich nur noch für ein Konto entscheiden und wandelte es in einen G+ Account um – soweit sogut. Nach dem Login nahm mich das Portal an die Hand und erzählte mir erstmal, welche Leute „schon da“ seien. Dazu zählten einige B-Prominente (Wesley Crusher vom Raumschiff Enterprise), aber auch ein paar Menschen, die ich wirklich persönlich kannte. G+ bediente sich bei der Kontaktsuche u.a. auch bei bei Twitter.

Eingekreiste Privatspähre

Um sich von Facebook abzuheben, hat G+ „per Design“ das Thema Datenschutz stärker forciert als Facebook. Während man bei Facebook merkt, dass der Datenschutz eher halbherzig nachgerüstet und dadurch einigermaßen kompliziert gestaltet ist, räumt G+ dem Thema von Anfang an gefühlte Priorität ein.

Einfach kommunizieren

In der Handhabung erinnert G+an eine Mischung aus Twitter, Facebook und WordPress.

  • Posts lassen sich sehr schnell verfassen und der richtigen Zielgruppe („dem Kreis“) zuordnen
  • es gibt keine Beschränkung auf 140 Zeichen, man kann die Plattform problemlos zum bloggen nutzen
  • ich kann festlegen, dass die Empfänger des Posts hierzu auch eine Info per Mail erhalten – wichtiges lässt sich so recht gut vom „Interessanten“ trennen
  • Über +1 und Share lassen sich Beiträge bewerten oder auch gezielt einem Kreis zuführen

Schön anzusehen

Darstellung der G+ Inhalte auf dem iPadWer G+ nutzen will, kann dies über das Webinterface oder per App erledigen. Meine Erkenntnis: das Webinterface funktioniert auf einem normalen PC-Bildschirm ganz gut, auf einem Smartphone hingegen ist es grauselig. Im Gegensatz dazu sind die Apps, getestet habe ich iPhone und iPad, wunderbar ästhetisch, schön anzusehen und toll zu nutzen. Bei der „schönen“ Präsentation der G+ Inhalte überragen die i-Apps jeden Social Media Client, den ich bisher gesehen habe.

G+ im Business

Wer als Firma bei G+ mitspielen möchte, legt sich keinen normalen Benutzeraccount mit dem Firmennamen an – sondern macht dies als „normaler“ Nutzer über eine Firmen-„Seite“, genannt Google+ Pages. Eine solche Seite kann von mehreren Benutzern verwaltet werden – und natürlich ist auch hier das Konzept der Kreise integriert. So lässt sich schnell und elegant ein Presseverteiler oder ein Kreis für die Mitarbeiter einrichten.

Aus Business-Sicht positiv zu bewerten ist Googles Bestreben, dass die Nutzer keine Pseudonyme verwenden sollen. Dieser Verlust der gefühlten Anonymität mag zwar mancher zurecht bedauern oder kritisieren, unterm Strich führt es aber dazu, dass Kommentare auf Posts bzw. ganz allgemein die Diskussionen auf der Plattform sich in etwas sachlicheren Bahnen bewegen als man das mitunter im Netz sieht.

Stolpersteine und Schönheitsfehler

„Es ist nicht alles Gold, was glänzt“ – und das gilt auch für G+:

  • G+ „kennt“ mich unter fünf verschiedenen Adressen. Vier dieser Adressen nutze ich gar nicht für G+ sondern nur für „andere“ Google-Dienste, doch leider werde ich unter diesen Adressen trotzdem in Google gefunden. Konkret: ich bin bei Google als andreas@ditze.net aktiv, ich bin aber auch unter meiner Firmen-Mailadresse zu finden. Die sollte dort zwar nie auftauchen, tut sie aber trotzdem – und ich kann nichts dagegen machen.
  • Als ich vor ein paar Jahren beim Betatest von Google Wave dabei war, habe ich mir einen Nutzernamen zugelegt, den ich heute nicht mehr ändern kann. Das ist ärgerlich, denn dieser Name wurde von Google nach G+ übertragen und „hängt“ nun in meinem produktiv genutzten Account fest. Und ja, heute finde ich den Namen doof.
  • Es gibt immer noch keine gescheite Möglichkeit, mehrere G+ Accounts zu einem Zusammenzulegen. Obwohl also G+ mich unter 5 Adressen kennt, erlaubt mir das Programm nicht, meinen Account zu vereinheitlichen. Immerhin gestattet G+, dass ich Kontakte auf einen Account „kopieren“ darf – trotzdem werde ich aber weiterhin noch unter 5 Adressen gefunden. Tipp: ich bin bei G+ hier zu finden.
  • G+ verteilt „meine“ Kontakte wie selbstverständlich nach GMail – was dazu führt, dass Menschen, denen ich einfach „nur so“ folge, anschließend im Mailadressbuch auftauchen. Das muss doch nicht sein…

Nützliche Links

Stand heute gibt es ein paar Tools, die den Umgang mit G+ deutlich vereinfachen:

  • Mit Google Takeout „kopiert“ man Daten aus verschiedenen Accounts in einen Account hinein
  • Hier gibt’s eine Anleitung, wie man die „alte“ Google Places Seite einer Firma mit der „neuen“ G+ Business Page zusammenlegt
  • Postlog – ein kostenloser Dienst zur Übertragung von G+ Posts nach Twitter und Facebook.

Mehr als ein Netzwerk

Im vergangenen Jahr wurde G+ mit immer mehr Funktionen angereichert: Spiele, Chat, Videofonie, sogar Filme und Bücher kann man seit kurzem über den Playstore erwerben. Mit dieser Strategie wächst G+ schrittweise von einer Social Media Plattform hin zu einer Art soziales Betriebssystem für die Gesellschaft. Eine spannende Entwicklung.

Muss man mitmachen?

Zum Schluss bleibt natürlich noch die obligatorische Frage, ob man nun bei G+ mitmachen muss oder nicht. Privat kann ich sagen: es muss nicht sein. Bei Twitter ist mehr los und bei Facebook trifft man mehr Bekannte. Na, und Filme einkaufen kann ich auch bei Amazon und Youtube.

Firmen hingegen sollten langsam einen genaueren Blick auf G+ werfen. Die Collaboration-Tools der Plattform sind mittlerweile so ausgereift, dass Arbeitsgruppen hierauf recht unkompliziert arbeiten können. Das Ganze wird mittlerweile auch speziell für Firmen beworben – Plattformen wie Projektplace&Co können sich schonmal warm anziehen.

Neben der Nutzung des Dienstes bleibt für Firmen außerdem noch die Frage der Auswirkungen auf die Sichtbarkeit in Suchmaschinen. Google hat Social Search als Ziel ausgerufen und will dies ab 2013 auch im deutschen Teil der Google-Suchmaschine einführen. Der Wandel wird zwar behutsamen kommen, aber wird kommen. Der Google +1 Button ist auf dem Weg zur neuen Goldwährung des Internet.

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