Warum die Generation C64 nicht SPD wählt

Vor ein paar Tagen stand im Bundestag die Abstimmung über die Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung an. Da mir das Thema besonders am Herzen liegt, fragte ich meinen Bundestagsabgeordneten, Sören Bartol, wie er denn über das Thema abstimmen wolle.

Eine Antwort darauf bekam ich zwar nicht direkt, doch schon kurz nach der Abstimmung gelangte sein Abstimmungsergebnis auf Twitter.

Nun endlich meldete sich Sören zur Wort – und seinen Tweet nehme ich zum Anlass für diesen Beitrag.

Rückblende: ich habe sowohl Sascha Brandhoff als auch Sören Bartol ein paar mal getroffen. Ich bilde mir ein, beide Akteure zu verstehen und wage deshalb eine Einordnung dieses Dialogs. Dabei geht es mir insbesondere darum, die Ablehnung der Netzgemeinde (oftmals IT-affine Menschen der 80er Jahre, kurz: Generation C64, hier vertreten durch Sascha) im Kontext mit der SPD (vertreten durch Sören) zu beleuchten. Es geht mir explizit nicht um SPD-Bashing – dafür ist mir unser aller Zeit zu schade. Im Gegenteil: ich wurde rot sozialisiert und habe die SPD bis nach der Wende durchaus geschätzt. Umso mehr ärgert mich, was aus dem Verein geworden ist.

Generation C64 und die Vorratsdatenspeicherung #VDS

In meinem Umfeld hatten viele Kinder der 80er Jahre die Chance, mit Computern aufzuwachsen: C64, Atari 1040STE, Amiga 500 oder der 286er – nahezu jeder Haushalt in meiner Peer-Group war irgendwie mit einer dieser Blechbüchsen ausgestattet. Wir wuchsen mit Techologie auf und standen an der Nahtstelle zwischen den Digital Immigrants und den nachfolgenden Digital Natives. Kurzum: in meiner Welt haben die Kinder der 80er einen Bezug zur Informationstechnologie (IT).

Der schulische Faschismusdetektor

Auf der anderen Seite gingen wir natürlich auch zur Schule – und dort wurden uns neben Deutsch, Englisch und Mathe auch ein paar übergeordnete Themen vermittelt. Die wirkungsvollsten Kampagnen waren sicherlich die gegen das Rauchen, Karies, Polio, AIDS und… den Faschismus. Faschismus? Ja. An mehreren Stellen im humanistischen Bildungswesen wurde insbesondere das 3. Reich immer wieder thematisiert. Die Machtergreifung Hitlers, der Weltkrieg und die Gräueltaten und der Widerstand waren nicht unbedingt nur ein Thema für den Geschichtsunterricht; auch in Sozialkunde, Ethik oder Deutsch gab es immer wieder Bezüge dazu. Ganze Jahrgänge wurden ins Kino verfrachtet, um Schindlers Liste gucken zu dürfen. Kurzum: die Gesellschaft hat es sich damals einiges kosten lassen, ihre Kinder für das Thema Faschismus zu sensibiliseren – aus gutem Grund.

Unterm Strich produzierte das Land dadurch eine Generation, die Computer nicht nur bedient sondern auch beherrscht – und wachsam gegenüber Faschismus ist. Und um es auf den Punkt zu bringen: wer Ahnung von IT hat und darauf geeicht wurde, Faschismus zu erkennen, der muss beim Thema #VDS von einer großen inneren Unruhe erfasst werden. Wenn dieselben Leute dann außerdem noch mitbekommen, dass unser Auslandsgeheimdienst offenbar völlig unkontrollierbar ist, die Verfassungsschutzbehörden auch schon mal in einen Mord verstrickt sind und wichtige Akten und Dateien dort ständig verloren gehen, dann ist es für diese Leute an der Zeit, in den Widerstand gegen die Untätigkeit oder Unfähigkeit zu gehen. Das ist ein Resultat ihrer staatlich geförderten erzieherischen Prägung.

„Immer nur ein Thema“…

Auf der anderen Seite kommt da der Realpolitiker daher, der offenbar nicht nachvollziehen mag, warum speziell das Thema #VDS so eine heiße Kartoffel ist. Ich greife das Thema hier am Beispiel meines örtlichen Bundestagsabgeordneten auf, gehe aber davon aus, dass das in anderen Wahlkreisen recht ähnlich läuft. Warum also nimmt die SPD das Thema #VDS nicht ernst?

  1. Das Thema mag die Generation C64 interessieren, doch von denen meldet sich kaum einer im Wahlkreisbüro.
  2. Unser MdB macht primär Verkehrspolitik (oder irgendetwas anderes) und erst in zweiter Reihe Digitales.
  3. Selbst wenn sich ein paar Leute wegen #VDS beschweren, die Sorgen der Baby Boomer wiegen schwerer – die Mütterrente lässt grüßen.
  4. Die SPD hat einen Parteitagsbeschluss pro #VDS.
  5. Kompromisse müssen in der Regierung eben sein.

Jeder dieser Gründe mag aus Sicht eines Abgeordneten zutreffend sein – ich lasse das einfach mal dahingestellt. Egal welcher Grund im Fall von Sören zutrifft, bereits die Haltung an sich erzeugt Reibung mit den C64er Vertretern.

Wer hat uns Verraten?

Es ist sicher kein Zufall, dass speziell im netzaktiven Teil der Generation C64 die SPD sich den Ruf der Verräterpartei erarbeitet hat. Immer wieder ist die SPD bei netzpolitischen Themen umgefallen – wohlgemerkt völlig unabhängig vom handelnden Personal (Zensur im Internet, Heiko Maas der Anti-Anti-VDS-Minister, TTIP, Edward Snowden, NSA).

Die SPD unterscheidet sich in dieser Beziehung klar von der CDU. Die SPD kündigt Entscheidungen an, die ich durchaus vernünftig finde. Und fällt dann in der Umsetzung regelmäßig um bzw. auf die Nase. Die CDU macht das besser: die kündigt nicht selten Themen an, die von vorne herein etwas merkwürdig wirken – aber zieht das dann auch so durch. Dabei nehmen sie sogar in Kauf, dass das Verfassungsgericht oder der EuGH den Unsinn wieder einkassiert – aber immerhin: sie machen, was sie sagen (Ausnahmen bestätigen die Regel). CDU und SPD, dass ist ein bisschen wie bei Dick & Doof.

Politikverdrossenheit 2.0

Im Ergebnis tragen die beiden großen Bundesparteien ganz gehörig zur Politikverdrossenheit bei. Die Schwarzen haben aus Sicht der Generation C64 oft genug antiquierte bzw. arg stammtischlastige Themen und wirken dadurch abschreckend. Doch die Roten sind noch schlimmer, denn in der öffentlichen Wahrnehmung fallen diese bei relevanten Themen (Faschismusdetektor, siehe oben) ständig um. Dieses Umfallen kommt einer Lüge gleich – und lügen wiegt schwerer als schlecht regieren.

Auf der anderen Seite haben die Parteien gelernt, dass die C64er Nerds zwar auf Twitter viel Rabatz machen, allein mit deren Themen aber keine Wahlen zu gewinnen sind. Im Prinzip könnte man sie wohl einfach ignorieren, wenn nicht dummerweise just aus dieser Schicht viele engagierte Leute stammen würden. Hier schließt sich der Kreis von Sören zu Sascha – und auch andere Akteure in dem o.g. Dialog fallen wohl in diese Kategorie „engagierter Leute“.

Das Verhalten der Bundesparteien ist längst kein theoretisches Problem mehr, sondern ganz real. Zur Kommunalwahl 2016 sind derzeit alle Parteien dabei, ihre Listen mit „guten“ Leuten zu besetzen. Im Kommunalen heißt „gut“, engagierte Leute zu finden – das Parteibuch spielt dabei schon längst keine Rolle mehr.

Doch während die Generation der Babyboomer langsam abtritt, kommt aus den Reihen der Generation C64 kaum Nachwuchs – und das wird zum Problem. Es fehlt einfach an Personal: die einen wollen nicht – und die Generation der Millenials (früher: Generation Y) ist noch nicht alt genug, um mit ihnen Personenwahlen zu gewinnen. Und die Jugend? Die ist zwar wieder interessiert an Politik, bleibt aber auch skeptisch gegenüber den großen Parteien. Immerhin brachte die aktuelle Shell Jugendstudie erst vor wenigen Tagen auf den Punkt: Der Aussage „Politiker kümmern sich nicht darum, was Leute wie ich denken“ stimmen 69 Prozent der Jugendlichen zwischen 15 und 25 Jahren zu.

Wie geht’s weiter?

Persönliche Glaubhaftigkeit ist ein großer Teil des Erfolgs bei einer Wahl, siehe Angela Merkel – das erkennen selbst Kritiker der Kanzlerin an. Da der SPD der Wertekompass verloren gegangen ist (weiß jemand, wofür sie noch steht?), bleibt nur die Glaubwürdigkeitkeit des Spitzenpersonals – und die ist beim aktuellen Vorsitzenden schlichtweg nicht mehr gegeben. Kurzum: Die Genossen haben ein heftiges Problem.

Es ist nicht unwahrscheinlich, dass nach der Bundestagswahl 2017 die SPD ihre Parteispitze umbauen muss – und spätestens dann sollten sich die Roten ernsthaft neu erfinden. Würden sie zum Beispiel damit anfangen, die guten Ideen der verstorbenen FDP zu übernehmen (im Sinne von: Bürger als Souverän des Staates), hätte sie endlich mal wieder einen intellektuellen Unterbau, der sie von anderen unterscheiden würde. Man stelle sich mal vor, ein Justizminister Heiko Maas bekäme ein Coaching von Gerhard Baum oder Sabine Leutheuser-Schnarrenberger – was hätte der Mann auf einmal für ein Potenzial.

Und wenn nicht? Dann werden eben weiterhin Entscheidungen getroffen, die die erstarkende Generation C64 nicht hinnehmen kann. Anstatt mit der SPD ins Parlament zu ziehen, ziehen die Aktivisten dann eben auf die Straße oder vor Gericht – und sorgen für politische Gestaltung außerhalb des Parlaments (VDS, Staatstrojaner, Wahlautomaten, Safeharbour & Co lassen grüßen).

8 Replies to “Warum die Generation C64 nicht SPD wählt”

  1. Ich finde alle Parteien unwählbar… nicht nur die SPD.

    Keine Partei nimmt die Bürger ernst sondern alle meinen zu wissen was gut für uns ach so unmündigen Bürger sei. Diese Arroganz findet man in allen parteien, deshalb bin ich nichtwähler da ich wählen gehen unter diesen Umständen als entwürdigend empfinde.

    • Es ist legitim, wenn du dich von keiner Partei vertreten fühlst. Konsequent wäre es dann aber, statt „Nichtwähler“ zu sein zumindest zur Wahl zu gehen und „ungültig“ zu stimmen. Damit würdest du zeigen, dass dir an der Demokratie gelegen ist, wenn auch nicht an den zur Wahl stehenden Parteien.

  2. Die SPD ist nicht nur für die Generation C64 nicht mehr wählbar. Sie hat auch den größten Sozialabbau der mindestens letztem 20 bis 30 Jahre zu verantworten.

  3. Ich zähle mich selbst auch zur Generation C64. Zum angesprochenen Thema „Politikverdrossenheit“ empfehle ich das Buch „Sprachlose Elite?: Wie Unternehmer Politik und Gesellschaft sehen“ (http://amzn.to/1STWKnw). Es ist eine Studie mit Interviews von Unternehmern (davon keineswegs allesamt C64er Generation, aber), es schildert bzw. begründet die Einstellung vom Unternehmern zum Politiker, und ob man sich eine Einmischung in die Politik geben sollte, ob es die Mühe und Zeit Wert ist, oder ob man seine eigenen Mittel nutzt, um sein eigenes kleines Mikrosystem so zu schaffen, wie es einem passt, und damit am Ende nicht mehr erreicht (als unternehmerisches Beispiel z.B. Verschiebung ins Ausland, usw.).
    Das ist zumindest meine Einstellung; ich habe viele Jahre in Hong Kong gearbeitet, nun arbeite ich für die Schweiz. Mir ist das lieber als Deutschland, ich versuche das System zu vermeiden wo es geht, obwohl ich dt. Staatsbürger bin.
    Gerade die Generation C64 und auch viele IT-Fachkräfte sind ja gerade nicht auf einen festen Standort angewiesen (sofern Umfeld und Familie mitspielt).

  4. Pingback: Kommunalwahl 2021, die SPD und ich – Andreas W. Ditze

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