Recap zum New Work Experience Kongress 2017

Am 30. März 2017 fand in Berlin im Westhafen der 17. New Work Experience Kongress statt. Die Veranstaltung beschäftigt sich mit der Arbeitswelt der Zukunft – und den Konsequenzen für die Gesellschaft. Die Veranstaltung war mit gut 700 Teilnehmern voll ausgebucht. Die gute Resonanz überrascht nicht, gilt die NWX doch als das Klassentreffen der New Worker. Wir von tripuls waren ebenfalls mit dabei – und haben hier die wichtigsten Erkenntnisse für euch notiert. Zugegeben, wirklich kurz ist es nicht

Hier das „Best-of“ Recap unserer Erkenntnisse auf der #nwx17.

Eröffnungssession

Unter dem Motto „New Work – New Culture or New Pain or New Nothing“ eröffnete Moderator Michael Abdollahi die vollbesetzte Veranstaltung. Der Eröffnungsjoke („Ich dachte, das sei eine Abendveranstaltung“), zog zwar nicht so recht, aber immerhin nahm er danach doch ordentlich Fahrt auf.

Auf ihn folgte der CEO von Xing, der gleich mit dem ersten ungewöhnlichen Vorschlag um die Ecke kam. Er forderte: lasst uns einen Parents-Day in den Unternehmen machen. Damit unsere Eltern endlich mal sehen, was wir New Worker den ganzen Tag so machen. Tolle Idee.

Utopien muss man sich hart erarbeiten

Als nächstes stieg Thomas Sattelberger in den Ring. Der ex CxO diverser deutscher DAX Konzerne. Wer Herrn Sattelberger schon mal gehört hat, weiß, dass der Mann keine Gefangenen macht. Er eröffnete seinen Vortrag mit „Werte Gesinnungstäter“ und stellte erst mal klar, dass New Work nicht bedeutet, dass der Arbeitgeber „Rückenschule und Frischobst“ bereitstellt. Er rüttelte am Selbstverständnis der Unternehmen und sparte dabei nicht mit plastischen Beispielen.

Drop Your Tools

Im weiteren Verlauf beschrieb Sattelberger, warum sich Unternehmen so schwer damit tun, auf Wandel zu reagieren. Dazu zog er ein Beispiel aus Colorado heran. Bei einem Waldbrand im Jahre 1994 wurden dort 50 Feuerwehrleute von den Flammen umschlossen, 11 Feuerwehrleute konnten sich nicht mehr rechtzeitig retten und kamen ums Leben. Im Nachgang hierzu analysierten Forscher, das die Feuerwehrleute nicht schnell genug aus dem Wald herauskamen, weil sie die komplette Einsatzmontur inkl. schwerem Gerät noch mit sich trugen. Auf die Frage hin, warum die Gerätschaften nicht einfach zurückgelassen wurden, fanden sie heraus, dass diese „Tools“ Teil der Identität der Feuerwehr waren. Es kam den Leuten schlichtweg nicht in den Sinn, einen Teil ihrer selbst „aufgeben“ zu müssen, um dieser existenziellen Krise zu entkommen. Er schloss das Beispiel mit den Worten: „Companies, Drop Your Tools!“

The Superstar Economy

Der Forscher und Buchautor Federico Pistano eröffnete seinen Vortrag mit der These: „Robots will steal your job but that’s ok.“

Am Beispiel der Landwirtschaft zeigte er auf, dass Digitalisierung mitnichten dazu führt, dass die in der Produktion „vernichteten“ Jobs durch ein vergleichbares Maß „höher“ qualifizierter Jobs ersetzt werden. Die klassische Landwirtschaft von vor 100 Jahren hat 99% ihrer Arbeitsplätze verloren – und nicht mal annähernd neue geschaffen.

https://twitter.com/saatkorn/status/847368109925163008

Hierzu brachte er noch ein anderes schönes Beispiel. Er ging der Frage nach, welche Art von Jobs in den letzten 30 Jahren neu entstanden sind (Kassierer, Wachleute, Hausmeister, …) und wie viele Leute in diesem Bereich arbeiten. Dabei stellte er fest: auf den Plätzen 1-32 gab es in den letzten Jahrzehnten kaum Bewegung. Erst auf Platz 33 folgt die Gruppe der Computer-Programmierer – die jedoch zahlenmäßig kaum relevant ist im Vergleich zu den übrigen Gruppen. Seine Botschaft: stellt euch darauf ein, die Digitalisierung kostet uns jede Menge Jobs. Und deshalb brauchen wir einen neuen Sozialvertrag.

Nach dem Ausflug in die Volkswirtschaft kam er dann zum „Superstar“ Teil seines Vortrags. Dort stieg er mit der Feststellung ein, dass Facebook für den Kauf von Whatsapp im Jahr 2014 satte 19 Milliarden Dollar auf den Tisch legte. Wohlgemerkt für eine Firma, die zu diesem Zeitpunkt nur 55 Mitarbeiter und eine tolle Software hatte. Setzt man diesen – tatsächlich realisierten – Wert in Relation zu anderen Firmen, wird schnell klar, was er mit Superstar Economy meint. Seine Botschaft erinnerte an Sascha Lobo, der diese Entwicklung Ende 2015 auf die griffige Formel brachte: im Silicon Valley kämpfen sie nach dem Moto „Weltherrschaft oder Tod“.

In seinem Ausblick führte Pistono den Superstar-Gedanken zu Ende. Dabei stellte er fest, dass derzeit seine „digitale“ Produktivität ja häufig noch durch die Geschwindigkeit seiner Daumen beeinträchtigt sei. Sobald es aber endlich neuronale Schnittstellen zwischen Mensch und Künstlicher Intelligenz gäbe, könnten „superskilled Employees“ auf einen Schlag tausende normaler Mitarbeiter ersetzen – so wie es die Digitalisierung damals mit der Landwirtschaft gemacht hat. An der Hirn-Computer-Schnittstelle wird aktiv geforscht, völlig abwegig erscheint sein Gedanke nicht.

Lost in Transformation

Als nächstes folgte eine Diskussionsrunde, in der es um die Frage ging, wie Organisationen den Spagat zwischen Innovation und Tradition hinbekommen können. Mit von der Partie waren:

  • Gitta Blatt (Sky Deutschland),
  • Fabian Kienbaum (Kienbaum Consultants),
  • Maximilian Viessmann (Viessmann),
  • Gleb Tritus (Lufthansa),
  • Nina Hugendubel (Hugendubel) und
  • Nora-Vanessa Wohlert (Edition f)

Diese Besetzung war durchaus interessant gewählt, denn mit Maximilian Viessmann und Nina Hugendubel ist nun „die nächste Generation“ am Steuer, die die Alltagsprobleme bei der Digitalisierung eines Traditionsunternehmens aus Inhabersicht kennen.

Einig waren sich die Diskutanten in folgenden zentralen Punkten:

  • Die Mitarbeiter suchen sich die Firma aus – die Demographie ist voll im Leben der Unternehmen angekommen.
  • Kultureller Wandel in den Unternehmen kann nicht erfolgreich von außen verordnet werden. Der Unternehmer muss den kulturellen Wandel selber wollen und vorleben – oder eben damit leben, dass, bis er es merkt, es eventuell zu spät für einen Wandel ist.

Maximilian Viessmann beschrieb aber auch die Herausforderungen, mit denen er sich im Führungsgeschäft konfrontiert sieht. „Ich bin für 12.000 Leute verantwortlich, da musst du Veränderung anmoderieren. Du kannst denen ja nicht einfach sagen, dass das alles Quatsch ist, was da gemacht wird.“ Die Kernorganisation am Sinnhaften zu orientieren und sich auf Inhalte zu fokussieren statt an alten Privilegien festzuhalten, sieht er in diesen Tagen als seine Mission.

Wir wissen, dass wir von Haus aus alles besser wissen

Sowohl von Lufthansa als auch Viessmann kam ebenfalls sehr deutlich der Hinweis, dass große Unternehmen gut beraten sind, mit etwas mehr Demut auf die Möglichkeiten der Digitalisierung zu reagieren. „Wir wissen, dass wir von Haus aus alles besser Wissen“, brachte es einer der Teilnehmer auf den Punkt. Deshalb suchen die Unternehmen bewusst den Kontakt zu kleineren Firmen, für die sie sich gerne in die Rolle des Lead-Customers oder auch Investors begeben.

Bei Innovationen besser reaktiv als proaktiv

Die etwas irritierende Ansage der Lufthansa, dass man bei Innovationen doch besser reaktiv als proaktiv arbeiten sollte, überraschte zunächst das Publikum.

Gleb Tritus beschrieb das Problem jedoch recht nachvollziehbar. „Anfangs haben wir gesagt: wir haben hier eine Idee, nutzt die doch bitte. Das hat aber nicht geklappt. Stattdessen fragen wir heute: „welcher Teil des Jobs hält dich nachts wach?“. Auf dieses Problem liefern wir dann eine Antwort.

Verzicht auf Budgets und Planung

Der selbsternannte Management-„Exorzist“ Niels Pflägig warb auf der Basis seines Buchs Komplexithoden darum, sich bei der Lösung von Problemen mehr darauf zu konzentrieren, mit welcher Art von Problem man es zu tun hat.

Konkret ging es ihm dabei um die Unterscheidung zwischen komplexen und komplizierten Problemen. Die komplexen Probleme (rote Probleme) sind aus seiner nicht nicht steuerbar, da sie undurchschaubare oder unbeeinflussbaren Abhängigkeiten unterworfen sind. Die komplizierten Probleme (blaue Probleme) wirken auf den ersten Blick zwar auch irgendwie komplex, sie lassen sich aber gut in Algorithmen und Datenstrukturen modellieren. Diese Probleme können gesteuert bzw. geplant werden.

Aus seiner Sicht machen die Unternehmen in Deutschland hier vieles falsch. „Management bei uns, dass heißt doch: an der Spitze wird gedacht und unten wird gemacht. Die meisten sind vom Denken befreit.“

Selbstorganisation ist der einzige Weg, um die Komplexität auf die Straße zu bringen

Und schlimmer noch: wenn man dann noch feststellt, dass die typische pyramidenform im Organigramm nicht mehr ausreicht, dann wird auch noch eine Matrix darüber gelegt. „Das ist der Versuch, mit blauen Methoden rote Probleme zu lösen. Das ist eine paradoxe Intervention, letztlich völliger Quatsch.“

Statt komplexe Problemen mit noch komplexeren Plänen zu begegnen, empfiehlt Pflägig, Teams dazu zu befähigen, zukünftige Probleme eigenständig zu lösen.

Drei Strukturen im Unternehmen

Zum Thema Strukturen führte Pflägig weiter aus, dass sich Unternehmen bewusst seien müssen, dass sie drei Strukturen haben.

Die „formelle Struktur“ bildet die klassische Hierarchie ab. Sie ist nötig für die Compliance im Unternehmen, sagt aber nichts über die Arbeit und den Erfolg der Firma aus. In ihr geht es um Macht.

Die „informelle Struktur“ ist der soziale Austausch zwischen den Mitarbeitern. Auch diese Struktur trägt noch nicht direkt zur Arbeit oder zum Erfolg bei. In ihr geht es um Einfluss.

Last but not least braucht es aber auch eine Wertschöpfungsstruktur, in der dann tatsächlich gearbeitet wird. Diese Struktur sollte sich dadurch auszeichnen, dass sie zwischen den Mitarbeitern genügend Raum für Leistung lässt.

Über den Sinn einer Unternehmung

Michael Buttgereit und Kristian Gründling begannen ihre Session zur „Frage nach dem Sinn unserer Unternehmen“ mit… einer Frage.

Sie fragten: welchen Sinn hat ein Auto?

  1. Geht es beim Auto darum, so viel zu tanken, wie rein passt?
  2. Oder geht es darum, von A nach B zu fahren, wobei Treibstoff eine unerlässliche Bedingung ist?

Von diesem Punkt aus nahmen sie die Unternehmer aufs Korn und stellten die Frage nach dem Sinn ihrer Firmen. Die Frage nach dem Sinn einer Firma sollte aus ihrer Sicht nicht darin bestehen, Geld zu verdienen. „Es sollte darum gehen, die Wünsche von Menschen immer besser zu bedienen und die Welt zu einem besseren Ort zu machen. Dafür ist Gewinn eine unerlässliche Voraussetzung, aber eben nicht der Sinn selbst.“

Sinn schafft Zugehörigkeit und schafft Verbundenheit statt Bindung

Wenn die Sinnfrage erst einmal geklärt ist, würden sich viele Probleme von alleine lösen. Zum Beispiel das Employee Branding. „Du brauchst keine Mitarbeiterbindungsprogramme, wenn sich deine Mitarbeiter mit deiner Firma verbunden fühlen“, brachte es Buttgereit auf den Punkt. Und weiter führte er aus: „Sinn entfaltet eine Kraft, die auch für andere interessant ist. Sinn hat Anziehungskraft.“

Zum Ende des Vortrags hin ging es dann angenehm kontrovers zwischen den Teilnehmern hin und her. Am Beispiel der Firma Apple wurde diskutiert, wie schwer das Thema „Sinn“ in der Praxis zu leben ist. Nahezu jeder Teilnehmer in der recht kompakten Session hatte ein Apple-Produkt vor sich liegen. Die Geräte wurden von allen als nützlich und essentiell für die soziale Vernetzung beschrieben. Apple leistet also durchaus einen sinnvollen Beitrag für diese Menschen. Auf der anderen Seite aber verhält sich Apple geradezu a-sozial, wenn sie weniger als 0,1% ihres Unternehmensgewinnes versteuern. Von den schwer nachprüfbaren Arbeitsbedingungen der Mitarbeiter in aller Welt ganz zu schweigen.

Frohes Schaffen

Unter dem Motto „Warum man Arbeit nicht vom Glück trennen sollte“ startete am Nachmittag eine Session mit Gina Schöler und Van Bo Le-Mentzel. Die Künstlerin und Bloggerin Gina Schöler betreibt das Kunstprojekt Ministerium für Glück, der Architekt Le-Mentzel betreibt die Tinyhouse University und ist u.a. für das Projekt Tiny100 (Wohnraum für 100€ im Monat) bekannt.

Kaum war der Vortragsraum „Dock 2“ aufgewärmt, schalteten die Referenten in den Barcamp-Modus und fragten beim Publikum ab, was sie in Sachen Glück und Arbeit umtreibt. Dabei kamen u.a. folgende Statements zusammen:

  • „Ich beantworte Mails entweder sofort oder gar nicht. Es wird nichts zwei Mal angefasst.“
  • „Früher warst du krank, heute bist du arbeitsunfähig.“

Im Gegensatz zu vielen Vorläufer-Sessions war diese hier nicht powerpoint-mäßig durchstrukturiert. Das Konzept muss man mögen, ein paar Zuhörer sprangen dann auch recht schnell ab. Diejenigen die blieben, sahen sich zumeist nicht als Zuhörer sondern als Mitmacher – und durch diese Dynamik wurde auch diese Session recht ansprechend.

10 Thesen zur Zukunft der Arbeit

Der Twitter-Investor Albert Wenger kam aus den USA zur #NWX17, um seine „10 Thesen“ vorzustellen – so jedenfalls dachten es viele der Zuhörer.

Im Verlauf seiner Session stellte sich heraus, dass er nicht genau 10 ausformulierte Thesen bei der Hand hatte, sondern eher eine handvoll Aussagen, die er mehr oder weniger pointiert auf den Punkt bringen konnte. Hier eine Auflistung dessen, was wir für seine Top-Themen halten:

  • Erst kommt der Mindset, dann der Erfolg.
  • Die Besteuerung von Robotern ist eine dumme Idee von einem schlauen Menschen (Bill Gates). Und wissen Sie, warum der die Roboter besteuern will? Die Alternative wäre, es bei den Reichen zu tun. Also ihm.
  • Ich bin für das Bedingungslose Grundeinkommen (BGE).
  • Beim BGE wird der Fehler gemacht, das stets in Relation zu den bestehenden Staatshauhalten zu sehen. Es wäre besser, dass in Relation zum Bruttosozialprodukt zu betrachten. Bekäme jeder US-Amerikaner 1.000$ pro Monat, wäre das pro Jahr gerade mal 1/6 unseres Bruttosozialprodukts. Das ist schaffbar.
  • Beim Bruttosozialprodukt geht es nicht um die Frage links gegen rechts. Es geht um die Frage Zukunft vs. Verangenheit.
  • Arbeit muss teurer werden. Wenn sie teurer wird, wird das den technologischen Wandel noch mehr beflügeln.
  • Wir müssen langsam mal lernen, dass wir unsere Bedeutung nicht allein aus der Arbeit ziehen können. Aristoteles sagte: „wenn sich die Besen selbst bewegen, können wir alle Philosophen werden.“ Unsere Besen bewegen sich zunehmend selbst!
  • Die Digitalisierung ist vergleichbar mit dem Übergang vom „Jäger und Sammler“-Dasein zur Sesshaftigkeit. Oder von der agrarischen zur industriellen Gesellschaft.
  • Digitaltechnologie strebt gegen 0 Grenzkosten. Warum? Du kannst sie von überall aus ausliefern. Und du findest immer einen auf der Welt, der die Leistung noch etwas billiger erbringt.
  • Momentan geben wir das billige Geld den Banken. Ich bin dagegen. Wir sollten das eher mit Helikopter-Money machen. Das Geld sollte direkt beim Volk ankommen und in die Wirtschaft fließen statt über das Banksystem.
  • Wir brauchen wieder mehr Werte in der Erziehung, damit die nachwachsende Generation wieder lernt, was im Leben wirklich wichtig ist. Das Schulsystem ist noch viel zu sehr an den industriellen Bedürfnissen ausgerichtet.

The Future of Work

Dr. Carl Benedikt Frey von der Oxford University wartete mit Zahlen, Daten und Fakten zur Veränderung in der Arbeitswelt auf.

Im Jahre 2010 haben seinen Studien nach 83% aller US-Amerikaner unter 20$ pro Stunde verdient. 31% lagen zwischen 20 und 40 Dollar, nur 4% bekamen mehr als 40$. Er stellte die These auf, dass mit ausreichend Robotik und Künstlicher Intelligenz sowohl die untere als auch die mittlere Lohngruppe ersetzt werden könnte.

Eine weitere Statistik ließ die Zuhörer verblüffen: Frey zitierte eine Studie der Ben Gurion University, nach derer es einen Zusammenhang gibt zwischen der Verurteilungsquote und der Tatsache, ob der Richter vorher gegessen hat. Frey schloss daraus, dass selbst bei diesen gut bezahlten Berufsgruppen der Einsatz von Künstlicher Intelligenz keine Verschlechterung bedeuteten muss – im Gegenteil. Zumindest vom Zuckerpegel würde sich die KI nicht beeinflussen lassen.

Frey war der Hardcore-Akademiker unter den Referenten, Visionen waren nicht seine Sache. Stattdessen brachte er nüchtern auf den Punkt: „wir steuern auf die Situation zu, dass nicht nur die gering qualifizierten Leute ihre Jobs verlieren werden sondern auch die Mittelschicht. Eine riesige Gruppe von Berufstätigen wird vor diesem Problem stehen. Damit müssen wir rechnen.“

Es zählt der Mensch, nicht die Vita

Ralf Dümmel, Geschäftsführer von DS-Produkte und Investor in der Pro7 Serie „Höhle der Löwen“ fand sich am Nachmittag ein zu einem Gespräch mit Moderator Marc-Sven Kopka.

Ähnlich wie in der Wegner-Session war auch seine Botschaft: „Du brauchst Begeisterung. Die kommt nur, wenn dir die Dinge Freude machen. Es bringt nichts, zur Arbeit nur wegen dem Geld zu gehen.“

Auf die Frage hin, wie er entscheide, in welche Produkte er investieren wolle, antwortete Dümmel: „ich investiere nur in Produkte, die von Menschen verantwortet werden, mit denen ich gut zusammenarbeiten kann. Dazu ist mir wichtig, dass die sich nicht verstellen. Ehrlichkeit ist wichtig.“

In diesen Kontext passte auch sein Statement zu den Lebensläufen von Bewerbern. Die liest er nicht, weil sie ihn nicht interessieren. Zitat: „bei meinem Lebenslauf würde ich auch keinen Job kriegen.“ Ralf Dümmel hat vor vielen Jahren den Hauptschulabschluss gemacht, die Realschule nachgeholt und anschließend eine Lehre im Einzelhandel absolviert.

Angesprochen auf das Thema, was er denn unter New Work verstehe, warb er dafür, hier nicht von Oberflächlichkeiten zu sprechen. Er hält jedenfalls nichts davon, im Sommer den Eiswagen zu bestellen und das dann unter New Work zu subsumieren. Damit war er auf einer Linie mit Thomas Sattelberger (Rückenschule und Frischobst sind nicht New Work). Ihm geht es stattdessen um die tatsächlichen Arbeitsbedingungen und die Wertschätzung, die – von der „Putzfrau bis zum Chef“ – jeder im gleichen Maße zu erhalten hat.

Ralf Dümmer verfügt über die Fähigkeit, begeistern zu können – seine Geschichten lassen sich einfach gut anhören. Zum Schluss unterstrich er daher nochmal, dass die Vita wirklich nicht wichtig sei. Wichtig seien „Typen“, Leute mit Charakter. Das gelte zumindest für sein Geschäft, dem People Business.

https://twitter.com/HCDGmbH/status/847473100824256516

New Work – das Manifest für das 21. Jahrhundert

Das absolute Highlight der #NWX17 war der Auftritt von Prof. Dr. Frithjof Bergmann. Er ist beschauliche 87 Jahre alt, wurde sportlich-rasant im Rolli die Bühne hoch geschoben und grüßte das Publikum passend zu den rockigen Tönen der Band mit erhobener Faust. Ein grandioses Opening. Selbst wer ihn nicht kannte, wusste sofort: hier kommt einer mit einer Botschaft.

Dankenswerterweise gibt es einen Videomitschnitt von dem Vortrag. Er setzt ca. 2 Minuten nach dem offiziellen Beginn ein. Falls unsere Zusammenfassung zu viele Fragen offenlassen sollte, könnt ihr sie euch hier gerne selber beantworten.

Um das New Work Konzept zu verstehen, beschrieb er zuerst die Entstehung desselben: in den späten 1970er Jahren in der US-Autostadt Flint. Dort wurde die Automatisierung damals deutlich sichtbar. Überall kamen Computer und Roboter hoch, die die Arbeiter an den Fließbändern in der Automobilindustrie verdrängten. Damals kam u.a. von ihm der Vorschlag auf, statt nun mehrere Wellen von Massenentlassungen durchzuführen, die Leute auf die Umstellung vorzubereiten. Das sollte so vonstatten gehen: 6 Monate arbeiten die Leute weiter in ihrem normalen Job, die restlichen 6 Monate werden sie freigestellt. In dieser Zeit würden sie vom Center for New Work betreut werden. Das Ziel in dieser Zeit sollte sein, den Leuten zu helfen, das sie selbst herausfinden können, was sie „wirklich wirklich wollen“ – und wie man damit Geld verdienen kann. Selbstverständlich wurde er dafür reichlich ausgelacht, immerhin standen einige der Arbeiter schon seit über 25 Jahren am Fließband. Woher sollten die noch wissen, was sie wirklich wollen? Bergmanns verblüffende Erwiderung lautete: „Man muss zumindest nicht 20 Jahre am Fließband stehen, um zu wissen, was man nicht will.“

Seiner Beobachtung nach wissen die meisten Menschen übrigens nicht, was sie „wirklich wirklich wollen“. Dieses Phänomen wird „Armut der Begierde“ genannt. Diese Armut resultiert aus einer Erziehung, die die Kapazität, etwas wirklich zu wollen, kaputt gemacht hat. Im Ergebnis landen Leute reihenweise in Jobs, die sie krank machen.

Auch wenn das Bild von der „milden Krankheit“ den meisten Zuhörern sicherlich eingänglich war, legte der Professor noch eins drauf. „Ich glaube, die meisten sind eigentlich schon tot, bevor man sie begräbt. Im Sinne von Nicht-Lebendig-sein.“ Starke Worte.

Um diesen Kreis zu durchbrechen, braucht es Leute, die gewillt sind, anderen richtig zuzuhören, anzulächeln und den Gegenüber dahin zu bringen, dass man gemeinsam aus ihm heraus den Hinweis bekommt, was dieser Mensch wirklich will. So mancher HR-Worker hörte da besonders aufmerksam zu. Ihnen gab Bergmann den Tipp: „gehen Sie die Woche Rückwärts durch. Donnerstag, Mittwoch, Dienstag, … Wenn da irgendwas in diesen Tagen war, was diesem Menschen eine unerwartete Freude gegeben hat (=>Freude im Sinne von Pleasure), dann haben Sie den entscheidenden Punkt erreicht.“

Sozialutopie à la Startrek?

In seinem Ausblick, wohin die New Work führen kann, wurde Bergmann erstaunlich konkret. So berichtete er davon, wie er in indischen Slums in einem Modellprojekt ein neues Bauerntum mit Hilfe von Hightech entwickeln konnte. Unter dem Motto „High-Tech-Self-Providing“ wurden die Leute befähigt, sich selbst zu versorgen – was außerdem dazu führte, dass sie anschließend Zeit hatten, sich auf die Dinge zu konzentrieren, die sie „wirklich wirklich“ wollten (neben der reinen Existenzsicherung).

Ihm schwebt eine Art „Neues Bauerntum“ vor, eine Gemeinschaft autonomer Selbstversorger. Zumindest so lange, bis der Replikator kommt – den er zwar Fabrikator nannte, was aber so ziemlich dasselbe seien dürfte. Und auch wenn dieser Gedanke heute noch nicht spruchreif ist, muss man dem Professor doch eins lassen: der Bezug zur Landwirtschaft kam in einigen Vorträge vor. Und selbst wir bei tripuls erleben in unserem überschaubar kleinen Team, dass in einer Gruppe von knapp 30 Leuten sowohl Hühner als auch Bienen gehalten werden. Das ist zwar noch keine autonome Versorgung, aber die Richtung ist erkennbar.

Nur keine Hektik

Wie man es von einem alten Philosophieprofessor erwarten würde, kam er selbstverständlich nicht mit der geplanten Redezeit hin. Das merkte er dann auch selber, als in seinem Bühnenmonitor eingeblendet wurde, dass er langsam mal fertig werden sollte. Aber: du erfindest nicht die New Work Kultur, um dir vom Regieassistenten sagen zu lassen, wann du fertig werden musst. Sein Statement dazu: „Diese Uhr irritiert mich. Können wir die abschalten?“ So läufts. Und tatsächlich: nicht nur, dass die Session gnadenlos überzogen wurde, es gab noch eine Afterhour mit ihm um 21 Uhr. Hut ab!

Menschen stärken statt unterdrücken

Zum Abschluss seines kurzweiligen Vortrags kam Bergmann an den Punkt, dass er vom Ende der Zähmung des Menschen sprach. „Diese ganze Zähmung im Sinne von Unterdrückung müsse aufhören. In einer idealen Gesellschaft müsse es doch vielmehr so sein, dass alles einander stärkt. Stärkt! Stärkt!“ Ein starkes Schlusswort, für das er minutenlang Stand-Ovations erhielt.

TL;DR

Disclaimer: Ein gut neunstündiges Vortragsprogramm lässt sich kaum in ein paar kurzen Worten zusammen fassen.

Wir machen es trotzdem:

  • Mit der Digitalisierung werden jede Menge Jobs verschwinden.
  • Digitalisierung, Robotik, autonomes Fahren, … das verschwimmt alles. Und je mehr davon kommt, desto mehr Jobs gehen.
  • Der Verlust der Jobs wird allgemein eher begrüßt als bedauert.
  • Die einen sagen, „die Maschinen werden die Arbeit besser machen als die Menschen“.
  • Die anderen sagen, „die Arbeit macht eh nur krank – dann sollen das die Maschinen ruhig machen.“
  • Ein neuer Sozialvertrag ist nötig, denn die gesellschaftliche Nützlichkeit eines Menschen darf nicht mehr davon abhängen, ob und wie jemand einer Erwerbsarbeitet nachgeht.
  • Der Wandel ist statistisch nachweisbar, da gibt es nichts mehr zu diskutieren. Er kommt. Und er wird schneller.
  • Unternehmen müssen sinnstiftende Aufgaben anbieten, die eben nicht als Job-Krankheit sondern als Berufung tauglich sind. Sonst werden die guten Leute gehen.