Vom Klassentreffen moderner Personaler: der New Work Experience Kongress 2018

Am 6. März 2018 stand in Hamburg die New Work Experience Konferenz (kurz: NWX) an. Nach der Premiere mit 700 Leuten in Berlin im letzten Jahr zog die Veranstaltung dieses Mal 1.500 Teilnehmer in die Elbphilharmonie – eine interessante Location für ein aufstrebendes Event, das auf dem besten Weg ist, zum Klassentreffen der modernen Personalarbeiter zu avancieren.


Recap? Eher tief als breit.

Die NWX ist thematisch unglaublich breit – und in aller Demut müssen wir feststellen, dass es uns kaum möglich ist, hier einen vollständigen Überblick zu geben. Was wir stattdessen aber machen: Wir berichten über das, was wir erlebt haben und was uns beschäftigt hat.


Arbeit und Privates – Kategorien von gestern

Die ZDF-Moderatorin Katty Salié und Marc-Sven Kopka von Xing eröffneten die Konferenz, nachdem die hochsympathischen Musiker der Gruppe Meute dafür sorgten, dass auch wirklich alle wach waren.

Frau Salié machte dann auch gleich zur Eröffnung klar, warum es Zeit wird, neue Arbeitsformen auszuloten. „Ich mache ja auch schon ein bisschen New Work, meine Sendungsinhalte überlege ich mir schließlich auch schon zu Hause, nachdem die Familie versorgt ist.“

Während das deutsche Arbeitsrecht und insbesondere das Arbeitszeitgesetz noch davon ausgeht, dass Arbeitszeit messbar ist, zeichnete sich hier bereits zu Beginn der Konferenz ab: so einfach wird es nicht bleiben.


Wer bringt den Mut auf, etwas zu verändern?

Die Eröffnungs-Keynote trug Prof. Richard David Precht vor. Der Honorarprofessor und Publizist warf gleich zu Beginn ein paar launige Thesen ins Publikum.

  1. „Früher haben wir an alles Mögliche geglaubt, ohne wirklich etwas zu wissen. Heute wissen wir über ganz Vieles Bescheid, glauben aber nicht daran.“
  2. „Es ist anzunehmen, dass alle erdenklichen Arbeiten, die nicht der Empathie bedürfen und algorithmisierbar sind, automatisiert werden. Diese Art Leistungserbringung durch Menschen wird dann verschwinden.“
  3.  „Weil die Routinetätigkeiten automatisiert werden, wandelt sich die verbliebene Arbeit zu einer mehr selbstbestimmten Tätigkeit.“
  4. „Von dieser Veränderung sind nicht nur niedrig qualifizierte Arbeiten betroffen. Auch Feld-, Wald- und Wiesenjuristen oder Programmierer können in 20 Jahren durch KI ersetzt werden, [IBM] Watson kann das teilweise schon heute.“
  5. „Empathieberufe sind die, die Zukunft haben.“
  6. „Wir brauchen das bedingungslose Grundeinkommen (BGE), gerne bei 1.500 Euro pro Monat. Und alles, was einer dazuverdient, soll er behalten können.“
  7. „Diejenigen, die mit BGE nicht mehr arbeiten würden, die arbeiten auch heute schon nicht wirklich.“
  8. „Das BGE ist finanzierbar. Für die Schweiz hat das mal jemand ausgerechnet, da bräuchte man lediglich eine Finanztransaktionssteuer in Höhe von 0,05 % und das Ganze wäre finanziert. In Deutschland bräuchten wir ca. 0,3 % Finanztransaktionssteuer.“
  9. „Die Politik wird von sich heraus keine Weichen umstellen. Aber: sie wird sich treiben lassen.“

Zum Abschluss seiner unterhaltsamen Keynote plädierte Professor Precht dafür, die Dinge nicht nur zu planen, sondern auch den Mut aufzubringen, die Pläne umzusetzen. Dazu stellte er einen Vergleich an: „Es gibt Pläne und es gibt Geschichten. Bei einem guten Plan kommt alles so, wie du es geplant hast. Und die Geschichte, die ist das, was kommt, wenn beim Plan etwas dazwischen kam. Wenn du alles nur planst und keine Geschichten zulässt, dann geht der Reiz des Lebens verloren.“

Der Mensch ist nicht die Krone der Schöpfung, eher ein Steigbügelhalter für die KI

Im zweiten Block stand ein Panel mit Prof. Jürgen Schmidhuber und dem Journalisten Dominik Wichmann auf dem Programm. Professor Schmidhuber gilt als einer der Väter der Künstlichen Intelligenz, umso spannender versprach seine Einschätzung zu den Entwicklungen der KI zu werden.

Zunächst jedoch blieb das Panel eher oberflächlich. Ja, jeder von uns nutzt über sein Smartphone schon KI-Systeme, bspw. zur Spracherkennung oder Übersetzung. Diese Art der Datennutzung nannte Schmidhuber „halbe KI“ und auch „passive KI. Die ist passiv, weil sie nur hören kann, aber keine Finger hat, um die Welt zu begreifen.“

Interessant wurden Schmidhubers Ausführungen bei der Prognose, wie zukünftig KI-Systeme auf bestimmte Aufgaben geeicht werden: über Schmerz- und Belohnungssignale. Das Anlernen einer KI erfolgt dann letztlich ähnlich wie bei einem Menschen.

Zum Ende des Talks wurde Professor Schmidhuber dann noch etwas prophetisch: „Heute ist KI noch stark auf Marketing fokussiert. Das sind nur ein paar Prozent der weltweiten Wertschöpfung. Spannend wird es aber, wenn KI dazu genutzt wird, manuelle Arbeiten zu ersetzen. Das könnte dann sogar soweit gehen, dass wir in bestimmten Industrien nicht mehr die Sklavenarbeiter-Kinder in Bangladesh brauchen.“ Trotz der drastischen Formulierung liegt Schmidhuber damit aber durchaus auf der Linie der New Work Evangelisten.

Prophetisch blieb dann auch Schmidhubers Schlusswort. Seiner Einschätzung nach ist KI viel mehr als nur der Wegbereiter für eine neue industrielle Revolution. Nach seinem Verständnis hat die KI das Potenzial, letztlich eine neue Art von Leben zu entwickeln, das sich über den Planeten Erde hinaus ausdehnen wird. „Der Mensch ist nicht die Krone der Schöpfung, eher ein Steigbügelhalter.“

Leider kam der halbstündige Talk nicht so richtig in Fahrt. Das Duo Schmidhuber und Wichmann harmonierte nicht so recht, so dass das an sich interessante Thema streckenweise zu lahm rüberkam – hier wurde Potenzial verschenkt.

Stellen Sie auch mal jemanden ein, der Ihnen auf den Senkel geht

Sie ist Mutter und Personalchefin… und arbeitet im Vorstand von Siemens: Janina Kugel. Sie beschäftigte sich mit der Frage, wie man im Unternehmen New Work implementiert, gleichzeitig aber wirtschaftlich akzeptabel und profitabel arbeiten könne. Das Spannungsfeld machte sie mit einem schönen Bild klar:

  • Frage 1: „Wer von Ihnen findet agiles Arbeiten gut?“
  • Frage 2: „Wer von Ihnen möchte in einem agil entwickelten und agil getesteten Flugzeug sitzen?“

Klar ist, dass es nicht um ein Entweder-oder geht. Vielmehr ist die Herausforderung, die richtige Balance zwischen alten und neuen Methoden zu finden. Und es geht nicht nur um Methoden, es geht vor allem um Menschen. „Wie finden wir die Leute, die Neues voranbringen, die etwas bewegen wollen?“ Diese Frage trieb sie sichtbar um. Da passte es nur allzu gut, dass bei der anschließenden New Work Award Verleihung auch ein Team von Siemens auf dem Siegertreppchen stand – ihre Kollegen konnten aus erster Hand berichten, welche Schwierigkeiten und Bremsklötze es im Konzern zu überwinden galt.

Stichwort Weiterbildung: „Kann man wirklich etwas Neues lernen, indem man eine Schulung aus dem Katalog aussucht“ – auch hier machte Kugel ein wichtiges Fass auf. Letztlich lief es auf die Frage hinaus, welche Voraussetzungen die Firmen schaffen müssen, mit diejenigen, die wirklich Interesse an Weiterbildung haben, das auch wirklich können. Damit das gelingt, müsse auch die Art der Personalführung weiterentwickelt werden:

  • „Es geht um Verantwortung und Aufgaben, statt die Anzahl der Schulterklappen zu zählen.“
  • „Flexible Arbeitszeiten sind wichtig. Schaut auf die Ergebnisse, die müssen stimmen.“
  • „Gute Ideen kann jeder haben, unabhängig von der Hierarchie. Firmen brauchen ein Ideenmanagement.“
  •  „Führung nur über Hierarchie reicht nicht mehr aus.“

Zum Schluss gab Janina Kugel den versammelten Führungskräften noch einen Tipp: „Es ist in der Führung eine große Schwäche, dass wir um uns herum kleine Mini-Ausgaben von uns haben wollen. Das hilft aber nichts. Nehmen Sie ruhig mal einen dazu, der Ihnen auf den Senkel geht.“

Die Treppe muss von oben gefegt werden

Der Vortrag vom DM-Chef Götz Werner startete überraschenderweise mit einem Handicap. Zum einen war der Referent noch etwas geschwächt von einer Erkältung, zum anderen fokussierte sich Moderatorin Katty Salié bei der Ankündigung von Götz Werner auf seine Thesen zum bedingungslosen Grundeinkommen. Das jedoch war gar nicht das primäre Thema des Vortrags – hier hatten offenbar zwei aneinander vorbeigeplant. Aber sei’s drum, Werners Thesen an sich hatten es trotzdem in sich.

Ausgewählte Zitate aus seinem Vortrag:

  1. „Es fängt immer erst mit dem Denken an. Besser noch: erst mal träumen. Was wir träumen können, können wir auch denken.“
  2. „Was Sie wollen, das können Sie planen.“
  3. „Wenn Sie unbedingt einen Burnout haben wollen, machen Sie einfach ganz viele Dinge, die Sie nicht wollen.“
  4. „Tun Sie Dinge, die Sie nicht selbst gedacht haben? Falls ja, dann fragen Sie sich mal, wo Sie denn für sich denken lassen.“
  5. „Alle Ideologien sind ein Problem: Nationalismus, Stalinismus, Kapitalismus, …“
  6. „Wie lernt man denken? Sie müssen viel beobachten. Und dann beobachten Sie sich beim Beobachten.“
  7. „Schauen Sie mal nach links und rechts. Nehmen Sie Ihren Nachbarn als Subjekt oder Objekt wahr? Ist Ihr Kollege Zweck oder Mittel? Das ist die Gretchenfrage im Betrieb.“
  8. „Wenn meine Freunde sich von ihren Partnern trennen, dann liegt das immer daran, dass sich die Leute nichts mehr zu sagen haben. Da muss man hart dran arbeiten, damit das nicht passiert.“
  9. „Wirtschaft ist, miteinander für andere tätig zu werden.“
  10. „Achten Sie auf die Begriffe. Große Firmen werden über Begriffe geführt, du kannst da ja nicht alle Face-to-Face führen. Personalkosten oder Mitarbeitereinkommen? Je nachdem, wie du die Begriffe wählst, veränderst du die Sichtweise auf die Welt.“
  11. „Arbeitszeit oder Freizeit sind für mich falsche Begriffe. Am Ende ist das alles Lebenszeit.“
  12. „Menschliche Biografien haben es so an sich, dass sie tödlich enden. Und dann geht’s zum Jüngsten Gericht. Und da empfehle ich, vorsichtshalber davon auszugehen, dass das so ist. Und ich sag mal: da können Sie sich nicht auf Ihren schrägen Vorgesetzten beziehen, wenn dich da einer fragt, was du aus deiner Zeit gemacht hast.“
  13. „Bei uns gibt’s keine Anweisungen, nur Empfehlungen.“
  14. „Wenn das Grundeinkommen kommt, müssen Sie sich fürchten. Denn dann gibt’s keine Ausreden und Opferrollen mehr.“
  15. „Das BGE ist finanzierbar. Ich bin Jahrgang 1944. Ich sage Ihnen, wir haben paradiesische Zustände in diesem Land, aber wir lassen es nicht zu.“

Zum Abschluss seines Vortrags stellte die Moderatorin die Frage, wann denn das bedingungslose Grundeinkommen in Deutschland kommen würde. Schlagfertig und etwas schelmisch antwortete der: „Frau Salié, hätten Sie am 11. November 1989 um 18 Uhr gewusst, dass die Mauer fällt?“

Tipp für alle Millenials: Die Öffnung der Berliner Mauer – und damit das Ende des Ostblocks – wurde in einem Nebensatz in einer Pressekonferenz um 18.50 Uhr verkündet. Niemand rechnete damit. Eine starke Parade von Götz Werner, Chapeau.

Ji-Hae Park: Violine und Eishockey

Als musikalischer Einschub gab die koreanische Star-Violinistin Ji-Hae Park ihr Können zum Besten. Jetzt endlich konnte der Konzertsaal in der Elbphilharmonie zeigen, dass er nicht nur für Konferenzen, sondern auch für Musik zu gebrauchen war – und zumindest in Reihe D war die Akustik exzellent.

Nach der Musik betrat Jochen Wegner, Chefredakteur von Zeit Online, die Bühne und sprach mit Frau Park über New Work & Co. Da Park eine Zeit lang in Deutschland gelebt hatte und ausgezeichnet Deutsch sprach, gelang der Diskurs ziemlich gut.

Sympathisch offenherzig gab Park dann auch gleich zu Beginn zu, dass sie ja schon etwas Sorge hatte, ob sie auf einen New Work Kongress passe. Immerhin stamme ihr Musikinstrument aus dem Jahr 1735 – und die meisten ihrer Stücke seien auch über hundert Jahre alt. New Work? Nicht wirklich.

Aber sie gab sich auch selbstkritisch: von Kindheit an strebte sie nach Perfektion in ihrem Metier, der Violine. Dieser stetige Druck, der viel mit Gewohnheit zu tun hatte, führte sie am Ende in eine Depression. Aus dieser wiederum führte sie – letztlich ironischerweise – die Musik wieder heraus. Ironisch deshalb, weil sie erst durch die Musik dorthin gekommen war. Schlussendlich war ihr Schlüssel zum Glück, dass sie einen Beruf gefunden hatte, für den sie brennt. „Stürzen und scheitern ist nicht das Ende. Es ist die Chance, in sich neue Chancen zu gebären und das Leben herrlicher zu machen.“

Ohne Rebellen ist alles nix

Thomas Sattelberger ist NWX-Veteran, Ex-Telekom-Vorstand und aktuell Mitglied des Bundestages für die FDP – und wie schon beim letzten Mal stand er auch diesmal wieder auf der Bühne.

Das Thema „Ohne Rebellen ist alles nix“ eröffnete er mit einer Feststellung zur Innovationsfähigkeit der chemischen Industrie. Diese hatte in einer Studie selbst herausgefunden, dass sie nur noch Prozessinnovationen zur Folge hat, aber kaum mehr neue Geschäftsmodelle oder echte Erfindungen hervorbringt. Diese Unfähigkeit resultiere, so die Studie, aus der Tatsache, dass besagte Industrie keine Querdenker habe – sie passen dort einfach nicht ins System. So weit, so gut.

Im Folgenden ging es um den Revoluzzer im Team, was ihn ausmacht und was er tut, wenn er nicht rebellisch sein darf. Es ging um gute und schlechte Rebellionen, ob Edward Snowden ein Verräter ist und den Unterschied zwischen Lenin und Gandhi. Nach dem starken Opening verlor Sattelberger hier leider den Faden. Was der Vortragende dem Publik an Handfestem mitgab, war immerhin noch der Hinweis auf den intuitiven Imperativ der Rebellen: „Kann ich morgens und abends nach meinen Entscheidungen noch guten Gewissens in den Spiegel schauen? Kann meine Familie nachvollziehen, warum ich mich gegen die Regeln gestellt habe?“

Der Vortrag schloss mit einer durchaus persönlichen Anekdote aus seiner Zeit im Telekom-Vorstand. Eine gute Geschichte, die aber nicht wirklich in den New Work Kontext passte. Verglichen mit seiner starken Vorstellung im letzten Jahr blieb Thomas Sattelberger dieses Mal unter seinen Möglichkeiten. Es wird Zeit für eine NWX-Pause.

https://twitter.com/laszlofoeldesi/status/970994383393878021

New Work Award

Apropos Pause: Vor der Mittagspause kam es noch zur Verleihung des New Work Awards 2018. Auf dem Siegertreppchen standen die Firmen Siemens, Design Offices und Blackboat. Die Jury hatte sich zum Ziel gesetzt, in diesem Jahr weniger Evangelisten, dafür mehr Praktiker des New Work Ansatzes auszuzeichnen. Leider war der zeitliche Rahmen für die Auszeichnung mit gerade mal 15 Minuten (wohlgemerkt für 3 Teams!) doch arg eng bemessen. So kam es, dass die gute New Work Praxisarbeit, für die die Sieger ausgezeichnet wurden, doch nur sehr oberflächlich behandelt werden konnte. Da ist konzeptionell noch Luft nach oben.

Kurzinterview mit den Gastgebern

Direkt im Anschluss trafen sich Dr. Carsten Brosda, seines Zeichens Kultursenator von Hamburg, und Dr. Thomas Vollmoeller, Vorstandsvorsitzender von Xing, um auf der Bühne ein wenig zu plaudern. Okay – Hausherr und Gastgeber wollten sich mal präsentieren, völlig verständlich und durchaus angemessen. Aber wie schon beim New Work Award blieb auch hier Luft nach oben. Letztlich erfuhr das Publikum lediglich, dass der Kultursenator mal für drei Monate ein Sabbatical gemacht hatte. Tolle Sache, aber mal ehrlich: ein Sabbatical ist ein Sabbatjahr. Ein 3-monatiges Sabbatical ist sowas wie ein 5-Kilometer-Marathon. Kann man so nennen, ist dann eben aber kein Marathon.

Nach 10 Minuten war das „Interview“ vorbei – und zu schmissigen Tönen von der Meute ging es in die Mittagspause. 

Leadership 4.0

Prof. Dr. Heike Bruch von der Universität St. Gallen überschrieb ihren Vortrag zwar mit „Leadership“, schlug jedoch zunächst den Bogen hin zur Frage, wie man die „New Work Experience“ im Unternehmen erfolgreich verankern könne.

Thesen und Zitate aus ihrem Vortrag:

  1. Speed ist die Währung der Zukunft.
  2. Du brauchst Innovation und Mitarbeiterbindung.
  3. Führe mit Sinn und Inspiration, führe weniger nach Zahlen.
  4. Fokussiere dich auf die richtigen Menschen.
  5. Führung muss Freiräume lassen. Und bereit sein, loszulassen.
  6. Als Mitarbeiter musst du dich auch abgrenzen können, um nicht in die Überhitzung zu kommen.
  7. Führe weniger zielorientiert, führe mehr inspirierend.
  8. Arbeiten im Spannungsfeld zwischen „transaktionaler Führung“ und „transformationaler Führung.“
  9. Die Führungskraft muss die Sichtweise auf eine Aufgabe so vermitteln, dass der Arbeitnehmer in der Aufgabe einen Sinn sehen kann.
  10. Führungsarbeit ist Sinnvermittlung.

Alles leichter gesagt als getan, denn die typischen Probleme einer Führungskraft stehen vielen dieser Forderungen entgegen.

  • 79 % aller Führungskräfte sagen, sie hätten zu wenig Zeit für Führungsaufgaben.
  • 55 % aller Führungskräfte können von einer Aufgabe nicht loslassen, wenn ein Mitarbeiter sie übernehmen soll.
  • 48 % aller Führungskräfte arbeiten nach dem Prinzip „Anwesenheitsorientierung vor Ergebnisorientierung“.

Allein diese wenigen Zahlen machen deutlich, was für ein fundamentaler Kulturwandel im Management noch durchlebt werden muss, damit „New Work“ tatsächlich reifen kann.

Abschließend schloss Frau Bruch mit einem Tipp: „Statt nur auf Tools zu setzen, ist es viel hilfreicher, einfach mal klar zu sagen, wie unsere Welt in Zukunft aussehen soll. Das Personal an der Spitze muss Vorbild sein.“

Teamwork als Innovationsturbo?!

Prof. Dr. Norbert Bolz (FU Berlin), Daniel Stern (Dropbox) und Dr. Kai Rödiger (Seibert/Media) diskutierten über den Wert der Teamarbeit für Innovationen. Braucht es ein Team, um Innovationen gebären zu können? Oder eher einen starken Visionär? Soviel vorweg: die Diskussion verlief kontrovers.

Kai Rödiger eröffnete mit der Feststellung, dass in seiner Firma de facto ohne Hierarchie und nach dem Pfirsich-Modell gearbeitet werde. Bei diesem Modell wird letztlich zwischen dem Kern (Zentrum) und dem Fruchtfleisch (Peripherie) unterschieden. In der Peripherie sind alle Bereiche des Unternehmens zu finden, die mit der Außenwelt Kontakt haben, sprich: die insbesondere dem Kunden schmecken müssen. Im Zentrum stehen diejenigen, die die Peripherie unterstützen (z. B. Personalwesen, Buchhaltung, Forschung). In diesem Modell beziehen Kunden (der Markt) Leistungen aus der Peripherie, die wiederum Leistungen aus dem Zentrum bezieht. Der Witz dabei ist: durch diese Struktur wird das Unternehmen eher durch den Kunden bzw. den Markt getrieben denn durch eine zentrale Hierarchie. Viel wichtiger als große Chefs sind in diesem Modell gut funktionierende Teams.

Norbert Bolz nahm die Kontraposition ein. Seine Stoßrichtung: „Teams sind bestenfalls sozialer Kitt.“ Klar, Teams haben auch in Bolz’ Welt eine Berechtigung, doch seien Gruppen seiner Erfahrung nach eher „stark im Kritisieren von Ideen. Wir brauchen aber auch Leute mit Ideen.“ Seine These lautete daher: „Damit ein Team funktioniert, braucht es mindestens einen in der Gruppe mit Brillanz.“

Daniel Stern ergänzte, dass man auch bei Dropbox die Kreativität des Einzelnen fördere. „Wir geben jedes Jahr jedem Mitarbeiter eine Woche frei. Da ist Hackweek.“ Und weiter führte er dazu aus, dass die Erkenntnisse und Ergebnisse dieser „Hackweek“ zu einem nennenswerten Teil (ca. 30 %) in die Product-Roadmap einfließen würden.

Neben den konkreten Erfahrungen bei Dropbox ließ Stern auch eine Einschätzung zum vielzitierten Entwicklungsmodell von Spotify durchblicken. Zur Einordnung: Spotify sagt von sich selber, dass ihnen agile Strukturen sehr wichtig sind, sie aber agiles Arbeiten nicht in Scrum umsetzen. Stattdessen haben sie Abteilungen (Tribe), Spezialisten innerhalb der Abteilungen (Chapter) und abteilungsübergreifende, informale Strukturen (Guild). Und ganz wichtig: Spotify setzt mehr auf Vertrauen denn auf Kontrolle.

Spotify Engineering Culture

Zu diesem Modell stellte er fest, dass es zwar sehr populär, aber nicht einfach einzuführen sei. Besser sei es, einzelne Elemente auszuprobieren, zu bewerten und letztlich auszusortieren: beibehalten oder weg damit. 

Auf die Frage, ob Teams von einem Scrum-Master profitieren können, war die Antwort recht eindeutig: Ja, eine Gruppe profitiert vom Scrum-Master, der von außen das Team beschaut und kritisch die Prozesse hinterfragt. Das klappt aber nur so lange, bis der Scrum-Master voll assimiliert ist, danach wird auch er betriebsblind. Falls das geschieht, sollte er die Gruppe verlassen.

Zum Schluß brachte Norbert Bolz, der Team-Kritiker, seine Einschätzung zu Teams auf den Punkt: „Um neue Ideen durchzusetzen, braucht es Mut. Meiner Erfahrung nach ist das nichts, was durch Diskussionen im Team zustande kommt. Man kann Ideen diskutieren. Aber irgendwann muss einer den Mut aufbringen und sagen: ‚Wir machen das jetzt!’“

Literaturtipp: Um zu verstehen, was Teams leisten können und wie die Grenzen sind, empfahl er abschließend das Buch „The Wisdom of Crowds.“

Utopien für Realisten

Der niederländische Historiker und Autor Rutger Bregman sprach um 15.45 Uhr unter widrigen Umständen über „Utopien für Realisten“. Widrig deshalb, weil zu diesem Zeitpunkt sämtlicher Sauerstoff im Vortragsraum Prototyp1 abhanden gekommen war. Sogar das WLAN war zusammengebrochen. Aber sei’s drum, unverzagt ging Bregman ans Werk. 

Ausgewählte Zitate aus seinem Vortrag:

  1. „The truth is: in the past, everything was worse.“
  2. „The real crisis is that we can’t come up with anything better.“
  3.  „Progress is the realisation of utopias.“
  4. „Martin Luther King never said: I have a Nightmare.“
  5. „You have to be for something.“
  6. Sinngemäß übersetzt: „Als die Müllmänner in New York 1968 streikten, wurde nach 6 Tagen der Notstand verhängt. Aber was würde passieren, wenn die Banker mal streiken? Das gab es schon, in Irland. Die haben 6 Monate gestreikt, ohne dass es nennenswerte Auswirkungen gehabt hätte. Danach sind sie wieder zur Tagesordnung übergegangen, als sei nichts geschehen. Diese Leute generieren nicht wirklich Werte.“
  7. „The more you earn, the less value you have for society.“
  8. Sinngemäß übersetzt: „Wieso gilt es als couragiert, das zu tun, was man wirklich will?“

Zum Abschluss seines Vortrags gab Bregman noch ein unerwartetes Beispiel dafür, was es bedeutet, „für etwas“ zu sein. Er sagte, der einzige Satz, den er auf Deutsch sagen kann, sei das Merkel-Zitat „Wir schaffen das.“ Dieses Zitat, ob bewusst oder unbewusst gesetzt, wirke auf ihn vielschichtig. Klar, es bringe zum Ausdruck: „Wir Deutschen schaffen das.“ Es bringe aber seiner Ansicht nach auch die Botschaft mit: „Selbst wenn niemand anderes in der EU das schaffen kann oder will, wir hier in Deutschland schaffen das.“ Diese positive Form von Nationalbewusstsein, auch Patriotismus genannt, habe ihm imponiert – und seiner Einschätzung nach auch viele andere im Ausland. Bei aller Kritik an Bundeskanzlerin Merkel müsse man ihr lassen: In dieser Situation war sie für etwas, nicht dagegen. Und das habe gezogen. „You have to be for something“ – at it’s best.

 

Die Kunst, sich selbst und andere zu führen

Bodo Janssen von Upstalsboom und Pater Anselm Grün aus dem Kloster Münsterschwarzbach traten am Nachmittag in der Halle Prototyp2 auf. Der Vortrag startete unter erschwerten Bedingungen: Der Vorredner hatte etwas überzogen, es gab keine Pufferzeiten und gefühlt wollten deutlich mehr Leute Anselm Grün zuhören, als der Raum zu fassen bereit war. Das Ergebnis war ein proppenvolles Auditorium. Jeder Stuhl und jeder freie Quadratmeter Stehfläche waren belegt. Eindrucksvoll.

Zitate, Thesen und Aussagen aus dem Vortrag:

  1. Janssen: „Ich habe früher immer nach Zahlen geführt. Das war nicht nützlich.“
  2. Grün: „Was ich bei mir nicht kenne, das projiziere ich auf andere.“
  3. Grün: „Das typische Führungskräfte-Problem: Sie wollen Vertrauen vermitteln, strahlen aber Misstrauen aus. Die eigene Ausstrahlung muss zu dem passen, was man will.“
  4. Janssen: „Ein Learning im Kloster war: Wenn ich etwas ändern will, muss ich bei mir anfangen. Ich kann nicht andere ändern, ich kann aber Vorbild sein. Eine wichtige Frage dabei ist: Wohin führe ich mich? Was entspricht meinem Wesen?“
  5. Janssen: „Je mehr ich über meine Schwächen gesprochen habe, desto mehr ist die Beziehung zwischen mir und den Mitarbeitern gewachsen.“
  6. Grün: „Führungskräfte sollten mit einem Ritual in den Tag starten.“
  7. Janssen: „Rituale statt Standards! Rituale geben eher das Gefühl, selbst handeln zu können. Vom Standard zum Ritual ist der Weg von Sollen zu Wollen.“
  8. Janssen: „Ein beliebtes Start-Ritual bei Workshops ist es, drei Fragen zu stellen: Wer bin ich? Was macht mich einzigartig? Warum bin ich hier?“
  9. Janssen: „Für Führungskräfte geht es in letzter Konsequenz darum, gelingende Beziehungen im Unternehmen zu ermöglichen. Das gibt den Mitarbeitern Geborgenheit, Sicherheit, Ermutigung und Unterstützung.“
  10. Janssen: „Gute Voraussetzung dafür ist, ein gemeinsames Verständnis dafür zu haben, wofür wir uns einsetzen. Wenn ich dann noch weiß, was dich hier hält, dann ist die Beziehung auf festen Beinen. Wenn ich dann noch Stärken und Schwächen weiß, dann haben wir’s geschafft.“
  11. Grün: „Harmonisierer sind ein Problem im Unternehmen. Wenn man Konflikte übertüncht oder verharmlost, dann löst das oft richtige Konflikte aus. Diese Leute moralisieren auch oft.“
  12. Grün: „Harmonie ist das Ziel, aber dazu muss ich offen und ehrlich Konflikte ansprechen und ausräumen. Der Harmonisierer lässt keine offene Konfliktlösung zu.“
  13. Grün: „Wenn ich beim Essen bin, und ich sage nicht, wenn´s mir nicht schmeckt, dann schlucke ich das Zeug so lange runter, bis ich es ausspucken muss.“
  14. Grün: „Ermüdung ist ein Zeichen, dass jemand im Gegensatz zu seinen eigenen Bildern lebt.“
  15. Grün: „Wenn du müde wirst, spricht jemand über die falschen Themen.“
  16. Grün: „Man sollte nicht zu früh den Job kündigen, weil man sich ja immer selber mitnimmt.“
  17. Janssen: „Besser Dialog statt Belehrung. Thesen helfen, eine Diskussion in Gang zu bringen.“
  18. These: „Das Streben nach Harmonie stört den Betriebsfrieden.“
  19. These: „Die Anzahl der Überstunden einer Führungskraft ist ein Gradmesser für die Unfähigkeit, sich selbst und andere zu führen.“

Aus dem Publikum kam die Frage auf, wie man als Personaler denn vorgehen könne, wenn man denn doch mal Leute entlassen müsse. Bodo Janssen antwortete mit einer Anekdote: „Ich habe das damals so gemacht, dass ich eine Zeitungsanzeige geschaltet habe. Frei nach dem Motto: Wir sourcen unsere Buchhaltung aus und haben ein paar Profis an den Arbeitsmarkt abzugeben. Das hat super funktioniert. Da haben die Leute, die sechs Monate Kündigungsfrist hatten, bis zum Ende voll motiviert durchgearbeitet und anschließend im Guten die Firma verlassen.“

Manifest für eine neue Arbeitswelt

Professor Frithjof Bergmann, der Begründer der New Work Bewegung, war dieses Mal über Videochat zugeschaltet. Die Moderation des Vortrags übernahm Max Neufeind aus dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales, ihm zur Seite saß Professor Andreas Gebhardt als personifizierte Krankheitsvertretung und Sidekick.

Obwohl Prof. Bergmann sichtlich schwächer wirkte als noch im letzten Jahr zur NWX17 in Berlin, brachte er seine Themen doch routiniert unter die Zuhörer. 

Ausgewählte Zitate, Thesen und Aussagen aus dem Vortrag und der anschließenden Diskussion:

  1. „Für viele ist Arbeit wie eine milde Krankheit. Bis Freitag hält man es noch aus.“
  2. „Die Armut der Begierde ist das Problem – Wer weiß denn wirklich, was er will?“
  3. „Bildung und Erziehung führen zu Unterordnung. Das ist so ein Gegenteil von Egoismus. Das führt aber dazu, dass die Leute nicht mehr wissen, was ihnen wichtig ist. Mach mal den Versuch, etwas wirklich zu wollen.“
  4. „Geht es bei New Work darum, mehr Spaß an der Arbeit zu haben? Nein. Bei New Work geht es nicht nur um Spaß, man kann viel mehr von der Arbeit erwarten als Spaß.“
  5. „Frage dich nicht nur einmal im Leben, was du willst. Frage dich das ständig.“
  6. „Bei Google hat man das mit der New Work so organisiert, dass die Freitagnachmittags das machen, was sie wirklich wollen.“
  7. „Da kommt ein Automatisierungs-Tsunami auf uns zu. Und New Work ist das einzige, was wir dem entgegenhalten können.“
  8. „Erfolgreiche Teams haben psychologische Sicherheit und wissen, was sie tun. Hat Google herausgefunden.“
  9. „Es braucht eine radikale Aufwertung des Personalwesens. Wir müssen den Leuten helfen, herauszufinden, was sie wirklich wollen. Nebenbei geht das nicht.“
  10. „Ich bin sehr begeistert vom Erziehungswesen in Finnland. Die sind methodisch in der Ausbildung viel besser als in den USA.“
  11. „Mit New Work wird Automatisierung etwas Gutes.“
  12. „Wir haben ein Utopiedefizit. Nehmen Sie nur das BGE. Ich halte das für eine schlechte Idee, aber das Verlangen nach Utopie ist so groß, dass das viele haben wollen, weil es eine Utopie ist.“

https://twitter.com/SchaefferNadine/status/971104310326067202

TL;DR

Im Vergleich zum letzten Jahr war dieses Jahr ganz klar größer. Doppelt so viele Teilnehmer, noch mehr Vorträge und alles auf Hochglanz poliert. Klar bleiben dabei ein paar Wachstumsschmerzen nicht aus: Nicht alle Vorträge saßen 100%ig, die Veranstaltung hatte keinen Campus und war örtlich zu fragmentiert – und das bei einer New Work Konferenz das WLAN zusammenbricht, entbehrt auch nicht einer gewissen Ironie. Auch der New Work Award ist konzeptionell noch nicht ganz zu Ende gedacht – da geht sicher noch mehr.

Trotz aller Kritik trifft der Kongress aber den Zeitgeist. Den Teilnehmern hier ist sonnenklar: Künstliche Intelligenz in Verbindung mit Robotik und Automatisierung wird ein großes Ding. Und es wird krasse gesellschaftliche Umbrüche mit sich bringen. Diejenigen Speaker, die sich direkt mit diesen Themen beschäftigen, trauen der Politik in dieser Beziehung wenig bis keine Lösungskompetenz zu. Stattdessen ermunterten sie das Publikum, selbst aktiv zu werden und aus den Firmen heraus Gesellschaft und Politik zu beeinflussen. Frei nach dem Motto: „Es gibt nichts Gutes, außer man tut es.“

Fotos, Fotos, Fotos…

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