Die Energiewende in Wetter (Hessen) lässt sich mit konkreten Zahlen nachvollziehen. Ich habe die Daten aus dem Marktstammdatenregister ausgewertet, das öffentlich einsehbar ist, und die Entwicklung zum Stichtag 1. Januar 2022 und 1. Januar 2025 analysiert. Achtung, Spoileralarm: Auffällig ist, dass sich die Zahl der Photovoltaikanlagen und Speicherlösungen deutlich erhöht hat.
Der zeitliche Kontext ist dabei besonders interessant: Die ersten Daten, die ich betrachtet habe, stammen von Anfang 2022 – also noch vor dem Ukrainekrieg und den daraus resultierenden Veränderungen in der Energiepolitik. Die zweite Messung zum 1. Januar 2025 zeigt, wie sich die Stromerzeugung in Wetter in den folgenden drei Jahren entwickelt hat. Welche Anpassungen wurden vorgenommen? Welche Rolle spielen erneuerbare Energien heute? In diesem Beitrag schaue ich mir die Zahlen im Detail an und ordne sie ein.
In 3 Jahren Anzahl der Anlagen fast verdoppelt
Die Auswertung der Daten aus dem Marktstammdatenregister zeigt, dass sich die Anzahl der Stromerzeugungsanlagen in Wetter (Hessen) innerhalb von drei Jahren erheblich verändert hat. Während Anlagen aus Biomasse, Wasser und Erdgas nahezu stabil blieben (ja, wir hätten es sicherlich gesehen, wenn eine neue Biogasanlage gebaut worden wäre), verzeichnete insbesondere die Photovoltaik einen signifikanten Zuwachs – ebenso wie die dazugehörigen Speicherlösungen.
1.1.2022 | 1.1.2025 | |
Photovoltaik | 386 | 675 |
Speicher | 54 | 197 |
Biomasse | 6 | 6 |
Erdgas | 2 | 3 |
Wasser | 2 | 2 |
Zur Orientierung: Die Biomasseanlagen gehören zur Biogas-Anlage in Mellnau und zu den Stadtwerken Wetter. Die Wasserkraftanlagen sind an der Kranzmühle und Walkemühle.
Installierte Leistung und Berechnungsgrundlagen
Die installierte (Netto-)Leistung einer Anlage wird in Kilowatt (kW) bzw. Kilowatt-Peak (kWp) angegeben. Dieser Wert gibt jedoch nicht unmittelbar Auskunft über die tatsächliche Stromerzeugung. Während Biomasse- oder Wasserkraftanlagen nahezu konstant Strom liefern, unterliegt die Stromproduktion von Photovoltaikanlagen den Einflüssen von Sonneneinstrahlung, Wetter und Tageszeit. Daher muss bei der Umrechnung in erzeugte kWh stets die tatsächliche Betriebsdauer einbezogen werden.
1.1.2022 | 1.1.2025 | |
Photovoltaik (kWp) | 4.870 | 6.810 |
Speicher (kW) | 221 | 972 |
Biomasse (kW) | 2.030 | 2.030 |
Erdgas (kW) | 10 | 11 |
Wasser (kW) | 29 | 29 |
Erklärung: Zur Ermittlung der tatsächlichen Strommenge werden Erfahrungswerte genutzt. So liefert eine 10-kWp-Photovoltaikanlage in Deutschland typischerweise zwischen 900 und 1.200 kWh pro kWp und Jahr. Wir rechnen im weiteren Verlauf mit 1.000 kWh pro kWp.
Faustformel: Bei klassischen Kraftwerken rechnet man kW × Betriebsstunden. Eine 500-kW-Biomasseanlage, die weitgehend durchläuft, erzeugt etwa 4 Mio. kWh pro Jahr (500 kW × ~22 h/Tag × 365 Tage).
Prognostizierte Energieerzeugung
Auf Basis der installierten Leistungen und entsprechender Annahmen zur Nutzung wurden die folgenden Werte für die Energieerzeugung kalkuliert:
2022 (kWh) | 2025 (kWh) | Wachstum | |
Photovoltaik | 4.870.000 | 6.810.000 | ~ 40% |
Speicher | 49.734 | 218.728 | ~ 340% |
Biomasse | 16.300.900 | 16.300.900 | 0% |
Erdgas | 81.906 | 87.928 | ~ 7.4% |
Wasser | 232.870 | 232.870 | 0% |
Gesamt | 21.535.410 | 23.650.426 |
- Photovoltaik: Die Leistung wurde mit einem Faktor von 1.000 kWh pro kWp und Jahr berechnet, da eine typische PV-Anlage in Deutschland je nach Standort 900–1.200 kWh pro kWp liefert.
- Speicher: Da Speicher keinen Strom erzeugen, sondern (bisher) nur überschüssige Energie aus Photovoltaik zwischenlagern, wurde ihr Beitrag anhand von 250 Ladezyklen pro Jahr berechnet. Dabei wurde ein Nutzungsfaktor von 90 % angenommen. Wenn man es ganz genau nimmt, dürfte man „eigentlich“ die kWh der Speicher nicht zu Gesamtstrommenge hinzunehmen, da aktuell die Heimspeicher nur aus Photovoltaik geladen werden. Allerdings: die gesetzliche Grundlage für das Laden und Entladen der Speicher aus dem und ins Netz sind bereits geschaffen.
- Biomasse, Erdgas und Wasser: Diese Energiequellen liefern oft konstantere Leistung. Ich habe hier mit einer durchschnittlichen Betriebszeit von 22h/Tag bei 365 Tagen gerechnet (rund 8.000h/Jahr).

Von installierter Leistung zur praktischen Stromversorgung
Die Gesamtleistung ist von 21,5 Mio. kWh (2022) auf 23,6 Mio. kWh (2025) gestiegen. Das entspricht einem Zuwachs von etwa 9,7 %. Diese Steigerung wird hauptsächlich durch den Ausbau von Photovoltaikanlagen und Speichern erreicht, während die Leistung aus Biomasse, Erdgas und Wasserkraft weitgehend konstant bleibt.
Leider wird es jetzt nochmal kompliziert. Denn: die grundlastfähigen Biogasanlagen werden in Wetter auch für die Nahwärme genutzt, also nicht nur für die öffentliche Stromerzeugung. Das muss man im Hinterkopf behalten – denn damit steht diese Leistung nicht für Strom zur Verfügung.
Stromverbrauch und regionale Versorgung
In Wetter leben knapp 9.000 Menschen (Stand 1/2024). Für die weitere Betrachtung nehmen wir an, dass alle in einem 3-Personen-Haushalt auf jeweils 120 Quadratmetern leben. Gehen wir also einmal von 3.000 Haushalten für das Stadtgebiet aus. Bei einem 3-Personen-Haushalt geht man davon aus, dass dieser rund 3.500kWh Strom pro Jahr verbraucht, ohne E-Auto und Wärmepumpe. Daraus ergeben sich folgende Szenarien (ohne Berücksichtigung der Biogaskraftwerke):
- Standardhaushalt (3.500 kWh pro Jahr):
- 2022 könnten rund 1.496 Haushalte mit dem erzeugten Strom versorgt werden.
- 2025 steigt diese Zahl auf etwa 2.100 Haushalte.
- Haushalt mit Elektroauto (8.500 kWh pro Jahr):
- 2022 reicht der Strom für etwa 616 Haushalte mit E-Auto.
- 2025 könnten etwa 865 Haushalte versorgt werden.
- Haushalt mit E-Auto und Wärmepumpe (13.500 kWh pro Jahr):
- 2022 reicht die Energie für etwa 388 Haushalte.
- 2025 steigt diese Zahl auf etwa 544 Haushalte.
544 Haushalte mit E-Auto und Wärmepumpe, die Stand 1.1.2025 rechnerisch mit Photovoltaik + Speichern, Wasser und Erdgas versorgt werden können, klingt erstmal nicht viel. Allerdings darf man dabei nicht vergessen, dass bei diesen Haushalten das Thema „Wärme“ voll mit erledigt ist. Wir erinnern uns: Die 16 Millionen kWh von den Biogasanlagen haben wir ja explizit aus der Rechnung rausgenommen.
Gut zu wissen: die drei „Mellnauer“ Biogasanlagen speisen rund 7 Millionen kWh pro Jahr ins Stromnetz ein und versorgen zugleich 250 Häuser mit Wärme. Sie sind in der o.g. Rechnung nicht enthalten.
Lange Rede, kurzer Sinn: selbst wenn alle Haushalte in der obigen Rechnung komplett mit Wärmepumpe und einem E-Auto elektrifiziert wären, hätten wir bereits heute rund 16,3 Millionen kWh Stromüberschuss. Und um es klar zu sagen: in dieser Rechnung spielt es keine Rolle, ob wir besonders sonnige Tage haben oder nicht. Selbst ein Ausfall der kompletten Photovoltaik ist aus regenerativen Energiequellen kompensierbar.
Langfristige Entwicklung: Wachstumsprognose für Photovoltaik und Speicher
Jetzt nehmen wir an, die Energiewende würde ab sofort nur noch halb so schnell voran gehen wie im Vergleich zu der Zeit zwischen 2022 und 2025. Wir rechnen also mit einer Steigerung bei Photovoltaik von „nur“ 20% in drei Jahren und bei Speichern mit „nur“ 170%. Wasser, Biomasse und Erdgas lassen wir gleich – wir bleiben defensiv.
Daraus ergibt sich folgende Projektion:
Jahr | Photovoltaik (kWh) | Speicher (kWh) |
2025 | 6.810.000 | 218.728 |
2028 | 8.172.000 | 590.566 |
2031 | 9.806.400 | 1.594.526 |
2034 | 11.767.680 | 4.302.320 |
Ja klar, die Dachflächen sind endlich und irgendwann alles zugebaut. Allerdings: wer im Jahr 2025 sich umschaut, stellt fest, dass die bisher installierten rund 600 PV-Anlagen zumindest kein erdrückendes Bild abgeben. Im Gegenteil: es sind (gefühlt) doch noch deutlich mehr Dachflächen ohne Photovoltaik als mit. Genügend Fläche sollte also noch da sein.
Gegenprobe für die Speicher: Um 4,3 Millionen kWh in Speichern vor Ort abbilden zu können, bräuchte es im ganzen Stadtgebiet rund 1.720 Stromspeicher mit jeweils 10 kW Speicherkapazität, bei rund 250 Zyklen pro Jahr. Für eine Stadt mit (gemittelten) 3.000 Haushalten jedenfalls kein undenkbares Szenario – zumal die Speicherkapazitäten im Laufe der Zeit noch weiter steigen dürften.
Natürlich soll hier auch nicht verschwiegen bleiben, dass wir immer noch von einer rechnerischen Betrachtung sprechen. D.h., im Sommer produziert die Photovoltaik ungefähr 10x mehr Strom als im Winter. Alles richtig – und dennoch ist eine betriebswirtschaftlich lohnende Tendenz erkennbar.
Das Geld bleibt in der Region
Die hohen Wachstumsraten bei den regenerativen Energien deuten darauf hin, dass hier nicht nur idealistische Klimafreunde am Werk sind. Also dann, rechnen wir es einmal aus – und stellen zwei Musterfamilien gegenüber. Wir bleiben bei der Annahme: ein 3-Personen-Haushalt beheizt 120 Quadratmeter Wohnfläche und fährt ein Auto mit 20.000km pro Jahr. Schauen wir einmal auf die Familie Fossil und die Familie Sonnenschein.
Familie Fossil steht stellvertretend für einen 3-Personen-Haushalt, der sich herkömmlich versorgt. Der Haushalt bezieht 3.500 kWh Strom pro Jahr zu 0,30 €/kWh – das sind rund 1.050 €. Zusätzlich kommen 1.800 Liter Heizöl zu je 1 €/Liter (1.800 €) und Benzinkosten für 20.000 km bei einem Verbrauch von 6 l/100 km (etwa 2.200 €) hinzu. Damit belaufen sich die jährlichen Energiekosten auf insgesamt ca. 5.050 €. Sämtliche erwartbare Preissteigerungen für Benzin und Öl blenden wir an dieser Stelle aus – der geneigte Leser mag diese Entwicklung selbstständig mitdenken.
Familie Sonnenschein hat hingegen auf ein vollständig elektrifiziertes Konzept gesetzt, das neben dem normalen Haushaltsstrom auch den Einsatz von Wärmepumpe und Elektroauto umfasst. Dadurch steigt der Strombedarf auf rund 13.500 kWh pro Jahr (3.500kWh für Hausstrom, 5.000kWh fürs Auto, 5.000kWh für die Wärmepumpe). Ohne Photovoltaik würden sich die Stromkosten bei 0,30 €/kWh auf etwa 4.050 € belaufen. Dank einer installierten PV-Anlage (8,6kWp) gelingt es jedoch, ca. 6.000 kWh vor Ort zu erzeugen. Wird dieser selbst produzierte Strom effektiv mit 0,10 €/kWh bewertet, sinken die tatsächlichen Stromkosten auf etwa 2.850 €. Zusätzlich wird für den nicht selbst genutzten Anteil eine Einspeisevergütung von ca. 160 € gewährt. Somit ist der effektive Jahresaufwand der Familie Sonnenschein deutlich geringer als der der Fossil-Versorgung.
Die jährlichen laufenden Kosten der Fossils werden absehbar bei mindestens 5000€ liegen, Tendenz steigend. Bei den Sonnenscheins dürften die Kosten noch etwas sinken, da zu erwarten ist, dass die Nebenkosten beim Strom perspektivisch gesenkt werden (Stichwort: Netzentgelte). Rechnet man vorsichtig, dürfte der Preisvorteil der Sonnenscheins bei mindestens 2.500€ pro Jahr liegen. Diesen Wert muss man im Hinterkopf behalten. Der Betrag wird relevant, wenn die Investitionskosten gegengerechnet werden. Eine Photovoltaikanlage fürs Dach mit brauchbar dimensioniertem Speicher kostet rund 18.000 Euro (Stand 11/2024), mitunter geht es auch günstiger. Eine Wärmepumpe im Altbau kostet zwischen 10.000 und 40.000 Euro, wobei die Kreditanstalt für Wiederaufbau mitunter 70% dieser Kosten fördert (Stand 11/2024).
Achja, und die E-Autos nähern sich preislich mittlerweile doch recht deutlich den Kosten der Verbrenner an (Stand 11/2024). Und eine Wallbox für ein paar hundert Euro macht in dieser Rechnung kaum noch einen Unterschied.

Die Energiewende – eine Investition in die Zukunft
Die Analyse belegt, dass der Ausbau von Photovoltaik und Speichern in Wetter zu einer stabilen, regionalen Energieversorgung führt. Die Zahlen zeigen klar: Es ist wirtschaftlich sinnvoll, in unsere eigene Energie zu investieren, anstatt Geld für Ölimporte aus Kasachstan auszugeben. Es rechnet sich, es macht uns unabhängiger und schafft eine Basis für eine nachhaltige Zukunft.
Quellen:
- Marktstammdatenregister für Wetter (Hessen), Stand 1.1.2022
- Marktstammdatenregister für Wetter (Hessen), Stand 1.1.2025
Update 13.02.2025
Stephan hat die Zahlen nachgereicht, wie viel Strom die Biogasanlagen vor Mellnau ins öffentliche Netz einspeisen und wie viele Häuser von ihnen mit Wärme versorgt werden. Und nebenbei noch einen Rechenfehler in einer der Stromformeln behoben 🙂
Gerd hat darauf hingewiesen, dass Wetter nicht etwa 10.000 Einwohner hat, sondern mit ach und krach gerade mal auf knapp 9.000 Menschen kommt (genauer: 8.927 am 1.1.2024). Die Berechnung mit den Haushalten wurde entsprechend angepasst.
Herzlichen Dank an beide Leser für die Korrekturen.