Anfang Juli 2018 reifte im Schatten der Bäume von Schloss Wilhelmstal die Idee, ein Freifunknetz im Ort zu installieren. Der Ort ist das Dörfchen Mellnau, zu der Gruppe gehörten insbesondere meine Ortsbeiratskollegen Jörg, Stephan und Björn. Ein paar Tage zuvor waren wir „auf Fortbildung“ im Osten Deutschlands unterwegs und hatten im kleinen Dorf Deersheim die Vorteile eines offenen WLANs erstmals so richtig verstanden. Mehr zur Historie findet sich auf der Freifunk-Seite des Ortes.
Gescheite Hardware: wetterfest und wartungsarm
Wenn man so ein offenes Netz will, muss man einen haben, der es baut – und diese ehrenvolle Aufgabe fiel mir zu. Sei es, dass ich ja „was mit Informatik“ studiert hatte oder beruflich „was mit Computern“ mache, am Ende lag der Ball halt bei mir.
Los ging es mit der Auswahl gescheiter Hardware: die örtliche Freifunk-Community in Marburg hielt zum Glück ein paar Geräte-Empfehlungen parat. Eine der empfohlenen Serien kannte ich schon: die Ubiquiti Unifi AP AC Pro. Die Geräte waren wetterfest, softwaremäßig gut zu handhaben und speichermäßig so dimensioniert, dass sie noch viele Jahre gut funktionieren sollten.
Und: die Geräte sind hardwaremäßig sehr stabil, so dass man sie auch ein paar Jahre später nachkaufen kann ohne bei der Firmware ins Schleudern zu geraten. Klar kostet so ein Gerät auf der einen Seite natürlich auch Geld – auf der anderen Seite bringt es ja aber auch nichts, wenn man sich einen 20€-Plaste-Router ins Dorfgemeinschaftshaus hängt und glaubt, der könne nun die Hochzeitsgesellschaft mit Musik von Youtube versorgen. Lange Rede, kurzer Sinn: 10 Unifi AP AC Pro sowie zwei „Tischgeräte“ vom Typ TP-Link Archer C7 wurden angeschafft.
Unifi top, Archer flop
Um es kurz zu machen: die Unifi Accesspoints funktionierten genau so, wie sie sollten. Klar, die Konfiguration über die Kommandozeile ist nicht jedermans Sache, aber das Prozedere war klar beschrieben und für einen Freund der Shell auch nicht so unglaublich schwer.
Mit den TP-Link Archer C7 Geräten hingegen hatte ich weniger Spaß. Es ging schon damit los, dass ich Geräte mit der Hardwarerevision v4 erhalten hatte, die Firmware gab es aber nur bis v3. Es dauerte dann noch ein paar Wochen, bis die v4-Firmware da war – was nur deshalb kein Problem war, weil ich ja noch 10 Unifis in petto hatte. Trotzdem wurde bereits hier erkennbar: mit TP-Link werde ich nicht glücklich.
Am Ende kam es so, dass ich zwar eines der Geräte behielt, das andere jedoch umtauschte. Ausschlaggebend war, dass ich bei zukünftigen Firmware-Updates einfach nicht darauf vertrauen wollte, dass die Freifunk-Community für jede noch so kleine Hardwarerevision eine neue Software nachschieben würde. Aktuell (Stand Juni 2019) ist TP-Link übrigens schon bei Version 5 angekommen. Zum Glück ohne mich.
Naives Mesh
Ein großer Vorteil der Freifunk-Software ist ja, dass sich die Accesspoints untereinander verbinden, sofern sie sich „sehen“ können bzw. Funkkontakt zueinander haben. Das ist ziemlich praktisch, zum Beispiel wenn man ein Dorfgemeinschaftshaus oder eine touristisch interessante Burgruine hat, auf der es kein Internet gibt.
Da ich niemanden kannte, der schon mal so ein Freifunk-Netz aufgebaut hatte und auch davon ausging, ich hätte „schon irgendwie“ verstanden, wie das läuft, war der Plan schnell gefasst: von einem zentralen Punkt im Ort aus sollte das Internet an alle wichtigen Orte gebracht werden. Da passte es gut, dass unsere Grundschule recht exponiert stand, einen vernünftigen Internet-Anschluss hatte und der Landkreis (als Schulträger) für Freifunk durchaus offen war. Gesagt, getan: zusammen mit unserem Dorf-Elektriker Jürgen kamen so die ersten drei Accesspoints an den Start.
Unser erstes Ziel in Sachen Vernetzung war das Dorfgemeinschaftshaus. Voller Tatendrang installierten wir am Eingang und Hintereingang jeweils ein Gerät, pappten einen Freifunk-Aufkleber daneben und wartet ab, was geschah.
Feuerprobe: Jubiläumsfeier der Burschen- und Mädchenschaft
Bis zum 9. August 2018 hatten wir nun also fünf Accesspoints (auch Nodes genannt) im Dorf aufgehangen. So wirklich kommuniziert war dazu nichts, bis eben auf ein paar (=4) Aufkleber, die um die Schule und eben am DGH von diesem freien WLAN kündeten.
Am 11. August kamen wir dann erstmals an einen Punkt, der als Feuertaufe gesehen werden kann: der Diskoabend der Burschen- und Mädchenschaft.
Und so kamen die Erfahrungswerte mit Freifunk so langsam nach Mellnau. Und es gab so einiges zu lernen. Zum Beispiel: wenn du zwei Accesspoints hast, von denen einer per Funk am anderen hängt, dann bricht der Funk-Uplink zusammen, wenn 63 Gäste sich auf dem einen Gerät einloggen. Okay, das lies sich leicht mit PowerLAN lösen.
Performanceprobleme
Ein anderes Problem, dass uns noch eine Weile begleiten sollte, ist die Performance des Mesh-Netzwerks. Die Erfahrungswerte zeigten, dass die Firmware der Marburger Community mit ihren Gatewayservern zwischen 10 und 15 MBit/s auf einen Node brachte. War dieser Node verbunden (=vermesht) mit einem Node, der selbst keinen Internetanschluss hatte, sank dessen Performance auf ca. 5 MBit/s. Gab dieser Node nun das Signal weiter an einen dritten, sank die Performance auf Seiten des Dritten auf ca. 2 MBit/s ab. Die Idee war schön, aber Veranstaltungen mit 50 bis 100 Leute konnten so nicht gestemmt werden. Und schlimmer noch: an schlechten Tagen kamen wir nicht mal auf 10 MBit/s Ausgangsleistung, was dann natürlich auch hieß, dass die Anbindung nach hinten raus immer dünner wurde. Ein Trauerspiel.
Doch, first things first: bevor wir die Großveranstaltungen managen würden, hieß es erstmal, die Burg und die Dorfgastronomie zu erschließen.
Hessenschau berichtet über Dorf-WLAN
War es Zufall oder Vorhersehung? Während wir in Mellnau noch fleißig am vernetzen waren, wurde Mellnau vom Hessischen Rundfunk als „Dolles Dorf“ ausgewählt. In aller Kürze heißt das: dein Dorf wird um 20 Uhr aus einer Lostrommel gezogen und ca. 2h später steht ein Fernsehteam in deinem Ort und will mit dir (und dem Rest des Ortes) besprechen, was es denn hier so tolles gibt. Und das dann am nächsten Tag drehen.
Lange Rede, kurzer Sinn: wenn man so schnell zwischen 50 und 100 Leute koordiniert bekommen will, braucht man etwas technische Unterstützung. Unser Dorfgemeinschaftshaus ist der einzige Raum, in dem man in dieser Größenordnung Leute gescheit unterbekommt – leider ist es aber auch ein Ort, der in einem Funkloch liegt. Da hilft so etwas freies WLAN schon – zumindest für WhatsApp und ein paar Mails.
Auch wenn der Trubel ganz schön heftig war, kann sich das Ergebnis durchaus sehen lassen. Im Video der Hessenschau ist das WLAN übrigens auch erwähnt.
Hoobs Hof versorgt die Burg
Nach den positiven Erfahrungen mit der Vernetzung des Dorfgemeinschaftshauses machten wir uns ans Werk, die Burg zu erschließen. „Die Burg“ ist ein Synonym für einen ziemlich hoch gelegenen Ort im Dorf, der freie Sicht auf so ziemlich alles im Umfeld hat. Ein hochattraktiver Standort für einen Netzwerkknoten. Da schon klar war, dass dieser Ort viel WLAN benötigen würde, bauten wir zunächst mal einen weiteren Uplink im Dorf mit ein – also ein Node, der mit dem Internet verbunden war und direkt zur Burg funken konnte.
WLAN-Kabel verlegen
So schön so eine örtliche Burgruine auch ist, sie hat einen Nachteil: Strom. Strom gibt es dort eben nicht an jeder Ecke – und in ein historisches Gemäuer zieht man auch nicht mal eben so ein paar Kabel ein. So kam es also, dass das Dorf Anfang November zu einem Arbeitseinsatz auf der Burg geladen wurde, um ein Stromkabel an einen Masten zu bringen, über den zukünftig das WLAN empfangen und in die örtliche Gastronomie weiterverteilt werden sollte. Die Aktion lief übrigens unter dem Codewort „WLAN-Kabel verlegen“… 🙂
Gesagt, getan: an einem Vormittag mit rund 10 Leuten war das Kabel verlegt und kurz darauf waren die Kuckuckshütte und der Burghof online erreichbar.
Der 3 Kilometer Rundstrahl
Wenn man an einer so exponierten Stelle einen Freifunk-Node installiert, tuen sich zwangsläufig auch neue Erfahrungswerte auf. Einer ist: bei freier Sicht und den richtigen Wetterbedingungen kann auch eine Rundstrahlantenne richtig weit kommen. In unserem Fall: etwa 3 Kilometer zu einem baugleichen Gerät im Nachbarort.
Auf den ersten Blick sieht so eine Verbindung zwar beeindruckend aus, praktisch nutzbar ist sie aber nicht. Dafür sind Rundstrahl-Antennen einfach nicht gemacht. Dennoch zeigt das Beispiel, dass so auch ein dorfübergreifendes Netzwerk geschaffen werden könnte. Mit etwas Richtfunktechnik und besserer Planung wäre so jedenfalls leicht eine gewisse Form von Internetz-Backup möglich. Aber: wenn überhaupt, dann wird das eine andere Geschichte.
Freifunk wird normal
Zurück zur Sache: die Nützlichkeit eines offenen WLANs musste man niemanden mehr erklären. Und so kam es, dass auch an ganz normalen Abenden das Netz gut besucht ist.
Während wir in Mellnau das Thema WLAN fokussierten, lief zeitgleich ein Diskurs mit der Stadt Wetter, die über das hessische Förderprogramm der Digitalen Dorflinde immerhin einen Accesspunkt in jedes ihrer Dörfer bringen wollte, die Kernstadt sollte sogar zwei erhalten. Da die Geräte relativ teuer waren (1000€+) und somit nur in sehr begrenzter Stückzahl zur Verfügung standen, kam aus dem politischen Raum gelegentlich mal die Frage bei mir an, wozu wir denn „so viel WLAN in Mellnau brauchen würden“. Frei nach dem Motto: surfen könnt ihr doch zu Hause. Kleiner Spoileralarm: während man in Wetter das Kosten-Nutzen-Verhältnis bei der Digitalen Dorflinde offenbar ganz toll fand, war eine Nachbargemeinde da deutlich kritischer.
Sei’s drum, von diesen Kommentaren ließen wir uns nicht beirren – und hielten sogar noch ein Gerät für besondere Veranstaltungen in Reserve.
Internet of Things
Nachdem nun die wichtigsten Plätze in Mellnau versorgt waren (Schule, DGH und Burg), ging es nun daran, die neue Infrastruktur zu nutzen. Als erstes kam die Smart Kids AG um die Ecke und montierte in der Raucherecke des DGH einen Luftdaten-Sensor inklusive Feinstaubmesser, Temperaturfühler und Feuchtigkeitssensor.
Von Gateways und Communities
Nach gut einem Jahr hatten wir so ziemlich das gesamte Material verbaut und das Netzwerk leidlich gut am Start. Doch das Performanceproblem, dass wir schon bei der Feuertaufe bemerkt hatten, war geblieben.
Ein großes Thema dabei ist die Performance der sogenannten Gateway Server. Dabei handelt es sich um die Geräte, auf denen sich die Nodes einwählen, um den Datenverkehr über sie abzuwickeln. Diese Konstruktion ist nötig, um die Störerhaftung vom Tisch zu bekommen und um sicherzustellen, dass nicht etwa die IP-Adresse der Dorfschule oder eines unbescholtenen Dorfbewohners in irgendwelchen Strafakten der Polizei auftaucht, nur weil jemand aus dem offenen WLAN etwas vermeintlich illegales getan haben könnte. Willkommen in Deutschland.
Wie dem auch sei: für den ganzen Kreis Marburg-Biedenkopf gibt es derzeit (Stand Juni 2019) einen Gateway Server, der mit 100 MBit/s angebunden ist. Im Netzwerk der Marburger sind zwischen 200 und 400 Leute eingewählt, auf die verteilen sich also diese 100 MBit. Kurzum: da bleibt nicht viel.
Mellnau goes Rheinland via Frankenberg
Schweren Herzens entschloss ich mich, die Router neu zu konfigurieren und zur Community ins benachbarte Frankenberg zu wechseln. Die Frankenberger sind Teil der riesigen Freifunk Rheinland Community und verfügen allein in „ihrem“ Teil des Netzes über zwei Gateway-Server, die gerade mal 100 Nodes und rund 100 Clients versorgen müssen. Bei Speedtests kam ich auf 30-40 MBit/s, die ein Freifunk-Node an einem VDSL50 Anschluss schaffen konnte.
Nicht ganz unkritisch war an dieser Stelle das Update: ein Gutteil der Nodes war so montiert, dass ich dort nicht einfach vorbeigehen konnte, um mal eben eine neue Firmware aufzuspielen. Zum Glück jedoch fand sich in den Untiefen des Web der Hinweis, dass der Befehl
sysupgrade -i firmware-image.bin
auf einem Freifunk-Router dafür sorgt, dass man Teile der Konfigurationsdateien behalten kann. Wenn man dann die Gluon-Setup, Gluon-Nodeinfo und auch die Passwortdateien behält, kann man schmerzfrei ein neues Image aufspielen, landet mit seinem Node in einer neuen Community, kommt beim Reboot nicht in den Setup-Modus und kann sich anschließend sogar wieder vernünftig einloggen. Was will man mehr?
Was kostet Freifunk?
Wer diesen Beitrag bis hierher gelesen hat, bekommt vielleicht Lust, in seinem Dorf etwas ähnliches hochzuziehen. Also reden wir über die Kosten.
Die Material- und Montagekosten inklusive der Kosten für den Elektriker beliefen sich auf ca. 2.500 Euro. Wie sich die Kosten genau verteilen, ist in einem der Protokolle des Ortsbeirats nachzulesen. Dem gegenüber standen in unserem Fall Fördermittel in fast derselben Höhe, so dass wir das WLAN bis hierher quasi zum Nulltarif angeschafft haben, wobei natürlich schon noch einige Stunden Tage ehrenamtliches Engagement eingerechnet werden müssen.
Was die laufenden Kosten angeht, ist Freifunk ein sehr dankbares Hobby. Der Strom pro Node ist in der Regel so gering, dass unsere Privatleute hier im Ort den einfach so durchwinken. Für die Nutzung der Gateways muss man ebenfalls nichts bezahlen, wobei es sicher auch nichts schadet, wenn man den tragenden Verein als Fördermitglied unterstützt.
Danke!
Damit so ein Projekt klappt, braucht es eine Reihe von Unterstützern. Bei uns in Mellnau fing es damit an, dass überhaupt mal jemand die Idee hatte, sich in Deutschland umzuschauen, wie andere Dörfer den Wandel angehen. Diese Idee steuerte Stephan bei.
Beim Brainstorming im Schatten der Bäume von Schloss Wilhelmstal waren es Björn und Jörg, die mich darin bestärkten, das Thema anzugehen.
Im Ort selbst waren es der Ortsbeirat und die Mellnauer Vereinsgemeinschaft, die letztlich das Geld bereitstellten bzw. über die die Beschaffung ablief.
In Mellnau hatte und habe ich Jürgen an meiner Seite, der immer dann zur Seite steht, wenn Strom an Stellen benötigt wird, an denen es noch nie zuvor Strom gegeben hat.
Auf Seiten des Landkreises ist Gerd Nienhaus zu benennen, der als erster sein Okay gab, Freifunkrouter an einem öffentlichen Gebäude installieren zu dürfen.
Und last but not least das Team von Freifunk Marburg, namentlich Alvar, Oleander und Manuel, die mit ihrem Engagement die technischen Grundlagen für das Netzwerk gelegt haben.
Euch allen an dieser Stelle ein „herzliches Dankeschön“ aus Mellnau.
Nächster Schritt: Richtfunk
Im Prinzip funktioniert das Netz jetzt so, wie es soll – für Großveranstaltungen (d.h. im Dorfmaßstab: 50+ Leute) hat es jedoch immer noch zu wenig Power. Um hier weiterzukommen, braucht es andere Ansätze – zum Beispiel Richtfunk mit properitärer Software, mit der man auch einfach mal 30, 40 oder 50 MBit direkt zu den Punkten bringt, an denen die Massen sind.
Na – und außerdem gibt es dann noch Stimmen, die auch im Unterdorf, dem Sportplatz und prominenten Wander-Parkplätzen gerne noch WLAN sehen würden.
Aber das wird eine andere Geschichte.