Über die Wahl von Schöffinnen und Schöffen in der Stadtverordnetenversammlung

Am 9. Mai 2023 sprach ich in der Stadtverordnetenversammlung von Wetter (Hessen) darüber, ob und inwieweit es die Stadtverordneten interessieren sollte, welche Personen sich für das Schöffenamt zur Verfügung stellen wollen. Hier das ungekürzte Redemanuskript inklusive Zwischenüberschriften zur leichteren Lesbarkeit.

Sehr geehrte Stadtverordnetenvorsteherin,
werter Bürgermeister,
liebe Kolleginnen und Kollegen,

ich stehe hier, um zu erklären, warum die Wahl der Schöffinnen und Schöffen heute nicht einstimmig erfolgen wird – so, wie es in der Vergangenheit oft der Fall war. Und ich will auch die Gelegenheit nutzen, Erkenntnisse aus dieser Situation zu formulieren, auf das sie uns in Zukunft nutzen können.

Um was geht’s beim Schöffenamt

Wir haben ein paar Gäste, daher kurz zur Einordnung: Wir stimmen hier heute über eine Liste von Personen ab, die sich ehrenamtlich als Richter zur Verfügung stellen wollen. Diese Ehrenamtsrichter werden Schöffen genannt und stimmen gleichberechtigt mit dem Berufsrichter über Schuld oder Unschuld von Personen ab. Wer dieses Amt ausübt, greift zwangsläufig tief in Freiheit, Eigentum und Würde von Personen ein – und es dürfte wohl eines der verantwortungsvollsten Ehrenämter sein, dass wir in Deutschland zu vergeben hat. Die Tatsache, dass sich in Wetter 17 Personen gefunden haben, die für dieses Amt zur Verfügung stehen, ist ein positiver Ausdruck unseres lokalen Engagements und der Bereitschaft unserer Gemeinschaft, Verantwortung zu übernehmen. Um die Zahl einmal einzuordnen: je nach Auslegung sollte Wetter mindestens zwischen 6 und 12 Personen für dieses Amt benennen – wir sind also deutlich über dem Soll.

Um Schöffin oder Schöffe werden zu können, müssen ein paar faktische Voraussetzungen erfüllt sein. Man braucht die deutsche Staatsbürgerschaft und darf weder bei der Stasi noch kürzlich im Gefängnis gewesen sein. Diese und noch ein paar andere Punkte werden im Rahmen der Listenaufstellung von den Bewerbern per Eigenerklärung abgefragt. Und ich gehe davon aus, dass diese Erklärung von der Stadt – aus naheliegenden Gründen – nicht regelhaft überprüft wird.

So kommt nun also diese Liste zustande, die die Stadtverordnetenversammlung mit 2/3 Mehrheit beschließen muss, damit sie später dann beim Amtsgericht Marburg und dem dortigen Schöffenwahlausschuss ankommt. Dieser Ausschuss wählt dann letztlich die Personen, die als ehrenamtliche Richter arbeiten sollen. Soweit sogut.

Qualifikation fürs Schöffenamt

Die Gemeinnützige Gesellschaft zur Förderung zivilgesellschaftlicher Teilhabe mbH, deren Formulare und Mustertexte die Stadt für die Schöffenwahl nutzt, weist bezüglich der Qualifikation der Bewerber neben den gesetzlich definierten Kriterien auch auf folgenden Punkt hin. Zitat: „Auch wenn an die Schöffen keine besonderen Anforderungen im Sinne einer formalen Qualifikation gestellt werden, kann nicht bestritten werden, dass sich nicht jede/r in gleicher Weise eignet, über andere Menschen zu Gericht zu sitzen. Das Amt verlangt aus sich heraus bestimmte Eigenschaften. Schöffen sollen einwandfreie, kluge, rechtlich denkende, unvoreingenommene Personen sein […]“ – es folgt eine stichpunktartige Liste, woran man diese Personen erkennt. Es versteht sich von selbst, dass dieser Passus nicht per Checkliste und Eigenerklärung abgefragt werden kann – er gibt aber einen Hinweis darauf, was unser Job hier seien könnte.

In Vorbereitung der HFA-Sitzung, in der die Vorschlagsliste besprochen wurde, erreichte den SPD Fraktionsvorstand der Hinweis, dass eine der Personen auf der Liste nicht den praktischen Befähigungskriterien genügen dürfte. Der Hinweis kam von einem ehrenamtlich aktiven Mitmenschen außerhalb dieser Versammlung – der aber mit seinem Hinweis anonym bleiben wollte.

Trau, schau, wem

Nun weiß ja wahrscheinlich jeder hier aus eigener Erfahrung, dass, egal was man macht, es immer jemanden gibt, der damit unzufrieden ist. Von daher ist es völlig klar, dass man mit Hinweisen dieser Art vorsichtig umgehen muss. Im konkreten Fall wählte ich das persönliche Gespräch mit der Fraktionsvorsitzenden der CDU, um diese Sache zu erörtern. Im Ergebnis kamen wir darin überein, dass die Vorschlagsliste bleiben solle wie sie ist. Ich schicke voraus: an dieser Position hat sich nichts geändert.

Im Nachgang zu diesem Gespräch erreichte mich ein weiterer Hinweis eines ehrenamtlichen Aktivpostens, diesmal eines Mandatsträgers. Kurz darauf ergab es sich, dass ich das persönliche Gespräch mit der in Rede stehenden Person führen konnte. Der Eindruck, der mir im Vorfeld vermittelt wurde, bestätigte sich für mich.

Warum muss die Schöffenliste durch die Stadtverordnetenversammlung?

Aus meiner Sicht kommt an dieser Stelle das Verfahren, dass wir hier führen, an seine Grenzen. Es ist klar, dass es bei diesem Prozess nicht bloß darum gehen kann, sämtliche Interessenten am Schöffenamt auf eine Liste zu schreiben und diese dann abzunicken. Wäre es so, könnten die Gerichte die Interessentenliste auch einfach selber führen – den Umweg über die Kommune wäre entbehrlich.

Warum also hängen wir als Stadtverordnete hier mit drin? Das Hessische Ministerium der Justiz gibt dazu in einer Pressemeldung vom 28.02.2023 einen Hinweis. Zitat: „Durch die Schöffinnen und Schöffen wird die Urteilsformel ‚Im Namen des Volkes!‘ mit Leben gefüllt.“. Die Legitimation, im Namen des Volkes zu urteilen, kommt nicht vom Schöffenwahlausschuss. Sie kommt von uns – den demokratisch gewählten Vertretern der Stadt. Im Übrigen erklärt dies auch die nötige 2/3 Mehrheit, unsere Schöffen sollen über einen langen Zeitraum hinweg stabil legitimiert sein.

Anfang März 2023 berichteten der Deutschlandfunk und das ZDF über die Schöffenwahl und beschäftigten sich mit der Frage, ob „der Staat“ bei seinen ehrenamtlichen Richtern genau genug hinschaut. In der journalistischen Einordnung geht es um Verfassungstreue, Extremismus und gröbliche Amtspflichtverletzungen. Außerdem lässt sich den Berichten entnehmen, dass der Bundesjustizminister offenbar die „weichen“ Auswahlkriterien für Schöffinnen und Schöffen explizit im Gesetz verankern will. Dieser Prozess läuft offenbar schon seit geraumer Zeit – und es war niemand geringeres als die (nun ehemalige) hessische Justizministerin Eva Kühne-Hörmann, der im März 2022 der vorgelegte Regelungsentwurf des Bundesjustizministeriums nicht scharf genug war. Handlungsbedarf wird offenbar auch in Hessen gesehen.

Dass es hier wirklich etwas zu tun gibt, unterstreicht der Präsident des Bundesverbands der ehrenamtlichen Richter. Er wird vom ZDF mit den Worten zitiert: „Die Gemeindeverwaltungen sollten bei den Bewerbern im Vorfeld noch genauer hinschauen – dafür brauchen wir auch bundesweite Standards.“

Und das führt mich nun zu den Learnings aus der aktuellen Situation.

Erkenntnisse und Lehren fürs nächste Mal

Unabhängig davon, ob es zur nächsten Schöffen-Wahlperiode bundesweite Standards gibt oder nicht, sollten wir uns überlegen, wie wir in Zukunft mit dieser Listenaufstellung umgehen. In Wiesbaden hält man es beispielsweise so, dass die Schöffenliste über die Ortsbeiräte gesteuert wird – das mag eventuell auch in Wetter funktionieren. Tendenziell dürften die Ortsbeiräte noch näher dran sein an den Bewerberinnen und Bewerbern. Die Ortsbeiratssatzung lässt grüßen.

Alternativ oder ergänzend, und da schaue ich insbesondere zum Vorsitzenden des Haupt- und Finanzausschusses, sollten wir darüber nachdenken, für die Diskussion dieser Listen einen geschützteren Rahmen zu wählen. Zum Beispiel könnte unter einem nicht-öffentlichen TOP gewährleistet sein, dass auch eine umstrittene Bewerbung offen diskutiert und gleichzeitig nicht zum Schaden der jeweiligen Person ausgeht.

Durchaus selbstkritisch stelle ich für mich fest, dass ich meinen Blick auf das Schöffenamt erweitern muss. Bisher ging ich davon aus, dass wir froh sein können und müssen um jeden, der Schöffe werden will – ein herzliches Dankeschön geht an dieser Stelle an Gerd und Jörg aus unserer Runde, die sich beide ebenfalls haben aufstellen lassen. Zur ernsthaften Auseinandersetzung gehört jedoch auch, die bereits zitierten Worte zur persönlichen Befähigung zu berücksichtigen. Im Ergebnis kann das nur heißen: genauso, wie jeder Bewerber um ein Stadtverordnetenmandat in einer öffentlichen Wahl bestehen muss, bevor er hier mitwirken darf, machen die Medienberichte deutlich, dass auch die Schöffinnen und Schöffen einen Auswahlprozess bestehen müssen. Und die Aufstellung der Liste ist Teil dieses Prozesses.

Die Liste steht

Was nun die jetzt anstehende Abstimmung angeht, werden wir von der Wetter SPD folgendermaßen verfahren: wir unterstützen mehrheitlich die vom Magistrat vorgeschlagene Liste und tragen auf diese Weise dazu bei, dass die nötige 2/3 Mehrheit hoffentlich besteht. Wir können dies verantworten, da wir viele Bewerberinnen und Bewerber um das Schöffenamt persönlich kennen und deren Befähigung als gegeben sehen. Und in den wenigen Fällen, in denen der persönliche Kontakt nicht allzu ausgeprägt ist, gab es zumindest keine negativen Rückmeldungen – von einem Fall abgesehen.

Wir werden also die Liste mehrheitlich mittragen. Gleichzeitig werden wir im Abstimmungsergebnis auch dokumentieren, dass wir hier einen Vorbehalt haben. Diesen Vorbehalt werden wir nicht nur in der Abstimmung zeigen, sondern auch in geeigneter Weise dem Schöffenwahlausschuss zukommen lassen. Zu welchen Schlüssen dieser Ausschuss dann kommt, ist letztlich dessen Angelegenheit. Mit Blick auf die Gästetribüne sei hier bemerkt, dass die heute beschlossene Liste auch noch öffentlich ausgelegt wird und für jeden die Möglichkeit besteht, Einsprüche im gesetzlichen Rahmen vorzubringen.

Es geht ums Verfahren

Liebe Freundinnen und Freunde, ich hoffe, man hört es heraus: letztlich geht es mir hier nicht um Personen oder darum, ob irgendwer irgendwen für besonders geeignet hält. Mir ist stattdessen explizit daran gelegen, dass wir eine Möglichkeit schaffen, Kritik an Personen auf der Liste in einer angemessenen Weise beraten zu können. Die Einbeziehung der Ortsbeiräte mag die Qualifizierung der Liste erleichtern, eine nicht-öffentliche Beratung im HFA sicherlich auch. Und wenn der Gesetzgeber seine Sorgen um die Befähigung und den Anschein der Schöffen in ein klareres Gesetzeswerk gießt, wäre das ebenfalls von Vorteil.

Kurzum: ich sehe diesen 10 minütigen Exkurs als Werbeblock dafür, den Prozess der Listenerstellung für die Zukunft weiterzuentwickeln.

In diesem Sinne danke ich für eure Aufmerksamkeit.

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